Mit Kunst und Musik durch die Psalmen mit Gott in Dialog treten
Friesenberg Kirche Zürich, Bus 32, 89, 73 bis Bushaltestelle Friesenbergstrasse
Der Pfarrer begann in gewohnter Weise mit einer ausgezeichneten Rede. Aber auf einmal brach der rote Faden ab. Ein völlig neuer Gedanke tauchte auf, und machte, ohne gross entfaltet zu werden, schon einem nächsten Platz. Und das ging weiter so: insgesamt fünf Themen wurden aufgegriffen und wieder fallengelassen… Es war eine völlig misslungene Predigt!
Peinlich sei das Ganze gewesen, befand man nachher und machte dies auch dem Pfarrer klar. Und weil dieser selber nicht wusste, wie ihm geschehen und weshalb er von seinem Konzept abgewichen war, schämte er sich zutiefst.
Ein Jahr später kam eine Frau auf ihn zu. Auch sie hatte die Predigt gehört. Nicht als Besucherin der Trauerfeier, nein! Sie sei an jenem Tag mit dem festen Entschluss, sich das Leben zu nehmen, an der Kirche vorbeigegangen und spontan hineingegangen – mit dem stillen Gebet: “Gott: Wenn du mir meine fünf wichtigsten Fragen beantwortest, bringe ich mich nicht um!” Und da habe die Predigt doch Punkt für Punkt alle fünf Fragen beantwortet…
Es ist ärgerlich: Manchmal gefällt es Gott, auf unsere Qualitätsansprüche keine Rücksicht zu nehmen. Haben wir das auch schon erlebt: Ausgerechnet nach einer weniger gelungenen Aufführung kommen Leute und sagen: “Das hat mich besonders berührt.” Dabei hat man doch vorher noch um Gelingen gebetet! Aber vielleicht hat man ja auch gebetet : “Dein Wille geschehe!”
Natürlich verbietet es sich, daraus einen theologischen Lehrsatz zu machen. Weder die Gleichung stimmt: “Künstlerisch gelungen = segensreich” noch der Umkehrschluss: “Künstlerisch misslungen = segensreich.” In der Geschichte der kirchlichen Kunst haben beide Gleichungen zuweilen für falsche Weichenstellungen gesorgt.
Eher zu beherzigen ist der Ruf aus 5. Mose 6,4-5 und sein Echo in den Reden von Jesus (Markus 12, 30): “Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft…. und deinen Nächsten wie dich selbst.”
Mit “Kraft” ist das ganze Können gemeint – und man kann durchaus auch das künstlerische Können dazuzählen.
Aber Gott kann dieses Können eben auch scheitern lassen. Nicht nur dort, wo wir stolz geworden sind und eine Korrektur in Richtung “Soli Deo Gloria” brauchen.
Nicht nur dort, wo wir unsere Grenzen erkennen sollen, die wir in falscher Selbsteinschätzung vielleicht übersehen haben. Nicht nur dort, wo es gilt, den richtigen, auf uns “zugeschnittenen” Platz zu entdecken. Und nicht nur dort, wo Gott uns dazu freisetzen will, noch fleissiger zu arbeiten und noch Besseres zu leisten.
Sondern auch dort, wo wir gerade unser Bestes geben, wo wir das “Soli Deo Gloria” suchen und wo wir bitten: “Dein Wille geschehe.” Das ist dann ein gottgewirktes Scheitern.
Geben wir Gott die Möglichkeit, mit unserer Kunst zu tun, was ER will? Sind wir bereit, beim Musizieren, Malen, Schreiben, Tanzen oder auf dem Theater unser Bestes zu geben, aber nicht um unseres Erfolges willen, sondern um Seiner Ehre willen?
Sind wir schliesslich bereit, unsere Schwachheit zu akzeptieren (und welcher Künstler fühlt sich nicht schwach?) und dabei zu vertrauen, dass Seine Kraft in den Schwachen mächtig sein kann (2. Korinther 12,9)?
Vor ein paar Tagen sagte mir ein Konzertbesucher: “Kürzlich habe ich Musiker nach einem wunderbaren Konzert belauscht. Sie haben sich ausführlich über ihre Fehler unterhalten und waren ganz missmutig – statt sich über das zu freuen, was gelungen ist.”
Bei allem Respekt für Selbstkritik: Wo bleibt da die Freude über die Kunst in ihrer Unvollkommenheit und Vorläufigkeit? Und wie lange ist von da aus der Weg zum Loslassen des eigenen Könnens – in die Hände Gottes hinein, der daraus machen kann, was Er für richtig hält?
TUNE IN 145 vom 13. Oktober 2015 | Text: Beat Rink, Präsident von ARTS+ | Weitere TUNE INs findest Du hier