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13.
Januar
2016

Die Botschaft in Alfred Manessiers “Favelas”

Ich bin in einem Künstlerhaus aufgewachsen, in dem das Werk des französischen Malers Alfred Manessier (1911-1993) eine grosse Rolle spielte. Dessen Bilder und Glasscheiben, die der „lyrischen Abstraktion“zugeordnet werden, faszinierten auch mich bereits als Kind – wie eben Kinder von interessanten Formen und Farben begeistert sind. Die Tiefe im Schaffen Manessiers entdeckte ich erst später.

Alfred Manessiers doppelte Bekehrung
Jérôme Cottin, Professor für praktische Theologie an der Universität Strassburg und ein grosser Experte für zeitgenössische Kunst mit christlichen Bezügen (siehe www.protestantismeetimages.com<http://www.protestantismeetimages.com>), schreibt: „Während des 2.Weltkriegs erlebte er (Manessier) eine zweifache Bekehrung: eine zum Christentun und eine andere zur nicht-figurativen Kunst. Eigentlich führte die erste Bekehrung zur zweiten. Manessier stammte aus einer areligiösen Familie. Im September 1943 wandte er sich dem christlichen Glauben zu, als er im Trappistenkloser von Soligny einen Mönchschor das „Salve Regina“ singen hörte. Als Christ begann Manessier dann an einem figurativen Bild mit religiösem Inhalt zu arbeiten: Abendmahl zu Emmaus. Aber es gelang nicht, was er folgendermassen kommentierte: „Als ich das Kloster verliess, wollte ich meiner Erfahrung Ausdruck geben, indem ich drei heilige Menschen an einem Tisch malte. Es ging nicht. Dies brachte mich zur Einsicht, dass es wohl einfacher sein müsse, meine Erfahrung auszudrücken, wenn ich ganz auf Figuren verzichtete.“
Vielleicht ist die Abstraktion – oder eher: die Abwesenheit erkennbarer Gegenstände – tatsächlich besser geeignet, die geistliche Tiefe und das innere Gebet eines Menschen in Bildsprache zu übersetzen. Abstraktion ist ausserdem eher angebracht, wo es um das Neue in der Botschaft und in der Person von Jesus Christus geht, der als Auferstandener keinem anderen erkennbaren Gesicht und keiner Person zu vergleichen ist. Das Thema der Passion, nun auf nicht-figurativem Weg dargestellt, wird Manessier für den Rest seines Lebens begleiten. Zwischen 1948 und 1987 malt er nicht weniger als 33 Bilder zur Passion. Gewiss, er hatte sich nach dem „Salve Regina“ bekehrt, doch als treuer Leser des Evangeliums gab er Jahre später an: „Unsere Zeit verstehen heisst erkennen, dass wir das Evangelium brauchen – um vieles mehr als das Salve Regina. Wir können uns nicht selbst erlösen“
(zit. nach ArtWay Visual Meditation October 12, 2014, www. artway.eu<http://www.artway.eu>)

Favelas
Zwischen 1973 und 1983 malte Manessier eine Serie von fünf Bildern, die er „Favelas“ nannte. Favelas sind Elendsviertel in Brasilien. Die ersten Favelas entstanden vor über 100 Jahren am Stadtrand von Rio de Janeiro. Sie waren Wohnort der früheren Sklaven, die kein Land als Eigentum besaßen und keine Aussicht auf Arbeit hatten. Über die Jahre sind v. a. schwarzafrikanische Sklaven in jene Viertel gezogen. Es gab viele Versuche, diese handgebauten Vorstädte, in denen die ärmsten der Armen wohnten, zu zerstören. Doch ohne Erfolg – sie haben sich im letzten Jahrhundert unaufhaltsam vervielfacht. 2010 lebten nach Schätzungen etwa 11,3 Millionen Menschen (6% der brasilianischen Bevölkerung) in Favelas. Die meisten und größten dieser Viertel befinden sich in Rio de Janeiro und São Paulo. „

“Favelas I-V“: Konkrete Betroffenheit
Es handelt sich bei diesen grossformatigen Bildern nicht um rein abstrakte Werke. Man erkennt in ihnen die Häuser. Trotzdem fügen sie sich zu einer abstrakten Form zusammen. Man könnte auch umgekehrt sagen: Die grossen Linien und Formen, wie man sie in Manessiers abstrakten Werken findet, verbinden sich hier mit der Darstellung oder zumindest mit der Andeutung von Häusern mit Dächern, Fenstern und Türen. Auf einmal sind für den sonst abstrakt malenden Manessier konkrete Dinge wichtig. Diese Abkehr von der Abstraktion kann als Signal für höchste Betroffenheit gedeutet werden. Diese offensichtliche Betroffenheit, die auch den Betrachter erfasst, gilt der Not dieser furchtbar armseligen, auf engsten Raum zusammengepferchten Behausungen.

“Favela II” und Hélder Câmara
Über Favela II liegt der Schatten des Kreuzes. Das Bild ist dem berühmten brasilianischen Bischof Hélder Câmara (1909-1999) gewidmet, der einer der wichtigsten Gegner der Militärdikatur und engagierter Kämpfer für die Armen war. In Wort und Tat trat er sehr mutig auf. „Wenn ich den Armen zu essen gebe, nennen sie mich einen Heiligen. Frage ich aber, weshalb die Armen nichts zu essen haben, nennen sie mich einen Kommunisten.“
Für die Männer in den Favelas formulierte er im Jahr 1956 zehn Gebote: 1. Ein Mann – ein Wort. 2. Hilf deinem Nachbarn. 3. Seine Frau zu schlagen, ist feige. 4. Ohne Beispiel keine Erziehung. 5. Ein Mann trinkt nicht bis zur Bewusstlosigkeit. 6. Spiele um Geld werden verbannt. Fußballspielen ist gestattet. 7. Es ist nicht schwierig, anderen Befehle zu erteilen. Schwierig ist es, sich selbst zu gehorchen. 8. Der Kommunismus löst nichts. 9. Ich will mein Recht. Also tue ich meine Pflicht. 10. Wir sind nichts ohne Gott.

Hoffnung, Glaube und Liebe
Hier drei weitere Beobachtungen, die man der berühmten Trias von Paulus zuordnen könnte. So wie Helder Camara HOFFNUNG in die Favelas brachte, sind diese auf Manessiers Bildern nicht einfach in Dunkelheit getaucht. Es gibt Licht! Und vielleicht hat der Maler bei Favela II an ein anderes Wort von Camara gedacht: „Herr, wenn das Kreuz nackt auf uns fällt, zermalmt es uns. Wenn mit dem Kreuz Du kommst, küsst Du uns.“
Die Bilder sprechen von Not – und strahlen zugleich eine seltsame Ruhe aus. Die Ruhe erinnert an die sakralen Werke von Manessier. Sie treibt ins Gebet, in die Fürbitte. Auch hier wird Manessier dem GLAUBEN von Helder Camara gerecht, wenn dieser aktive Kämpfer für Gerechtigkeit schreibt: „Mit gefalteten Händen kann man weit mehr bewirken als mit tätigen Händen.“
Manessiers Abkehr von der abstrakten Form hin zu den Favelas, das heisst hin zu jedem einzelnen, detailliert gemalten Haus, kann meiner Meinung nach als Zeichen gedeutet werden für die Zuwendung Gottes zu uns. Gott wendet sich in seiner LIEBE jedem einzelnen Menschen zu.

Text: Beat Rink

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