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15.
August
2021

Wolfgang Rihm: ET LUX

ENGLISH

The Czech violinist David Danel recently performed ET LUX by Wolfgang Rihm. We asked to describe what effect this work had on him.

When as a performer you encounter such beautiful, beautiful music with clearly perceptible perceived depth, such as ET LUX by the contemporary German composer Wolfgang Rihm, you feel intensely as if you would like to cut yourself off from the world, become a monk for a month or a week at least, contemplate, meditate, walk alone, practice solo, discuss the work with other musicians, in this way creating some kind of a fellowship of musical, artistic monks…

But usually, as an average adult of “this age“,  you don’t have that privilege, you are like every other human: you are there in a state between “the flesh” and “soil of this earth”, between one duty and those many other errands, between grocery store and post office, battling beaurocracy, organizing logistics for kids’ school trips & family gatherings, filling up washer & dishwasher, hanging up laundry, walking out your dog a few times a day, changing diapers for your baby, honestly trying to be actively and lovingly with your wife and children, wishing you could give them more of your time, more of yourself… and of course, on top of it all, there’s that European football championship which happens only once in four years, so checking on this one here & there is tempting, too… A classic “adult-husband-father-worker-citizen-also-an artist” thing.

But somehow… in the midst of it all, somewhere in the back of your head, with your mind’s eye & ear you keep hearing those tunes, sounds & words of Rihm’s ET LUX  returning to you, emerging, disappearing, sneaking in, shouting all of a sudden, whispering in any next moment… It feels like brief echoes of memories of eternity, glimpses of transcendence you are longing for in your early mornings and late nights. Sum – ego – domine – et lux perpetua… In obscurum – de ore leonis – ne absorbeat eas – homo reus… ne cadat in obscurum – libera me – Jerusalem – ad te – libera – domine – et lux – exaudi orationem meam…  And the melodies and harmonies seem floating above you and inside you and they accompany the metro guide-man’s voice reading the names of the stations you pass, the beeping of the cash counters, the blinking of the traffic lights…
And these tones and the collections of them forming phrases, they seem so familiar, eventhough they are not quoting any historical reference actually. They shift between almost tonal and atonal, they pause for a consonance, but they refuse to give you a fake or false or final consolation.

And so are the words: their sound resembles a sacred ritual, rather observed from afar. The order of broken sentences loses direction, moves and goes in circles, not even circles, never complete circles. They are loaded with meaning, they temporarily make alliances of heavenly signs, of powerful symbols (together with music, of course, a musician would add). But you could not play this piece in liturgy. It was not composed for liturgical purposes. It is a rather a very private prayer-cry. A weeping for hope moment. An absolute honest confused confession of one’s brokenness and a plea for redemption.

So many times I feel my life resembles this “Et lux music and lyrics” almost perfectly. I live in a cloud cluster of well meant plans, quick human encounters, tired daddy moments, postponed dreams, desires of a moment, intense longings for a rest and peace, a true peace. I find myself wandering in a wilderness of temptations and gestures of resistance against them.Between things, objects, human beings and even pets craving for my attention. On the wings of quickly conceived prayers, intercessions, blessings, desperate daily ‘maranathas’ as well as true expressions of joy, gratefulness, amazed at every given moment, sound, meeting… And so I weave my steps, thoughts and heartbeats, consciously or not, around, and I am woven by:

…”Lord, you have the words of everlasting life”…

…”to whom would we go?”…

…”when I lack words, do you intercede for me, Holy Spirit?”…

…”in Him we move and breathe and have our being”…

…”follow me”…

…”You are the Way”…

…”Libera me”…

Text: David Danel (LINK)

DEUTSCH

Der tschechische Violinist David Danel hat kürzlich ET LUX von Wolfgang Rihm aufgeführt. Wir haben ihn gebeten, zu schildern, was dieses Werk in ihm ausgelöst hat.

Wenn man als Interpret einer so schönen, schönen Musik mit einer deutlich wahrnehmbaren Tiefe begegnet wie ET LUX aus der Feder des zeitgenössischen deutschen Komponisten Wolfgang Rihm, dann möchte man sich am liebsten von der Welt abkapseln, für einen Monat oder eine Woche zum Mönch werden, kontemplieren, meditieren, alleine spazieren gehen, alleine üben, das Werk mit anderen Musikern besprechen und auf diese Weise eine Art Gemeinschaft von musikalischen, künstlerischen Mönchen schaffen…

Aber normalerweise hat man als durchschnittlicher Erwachsener in dieser Lebensphase  ein solches Privileg nicht. Man ist wie jeder andere Mensch geerdet – in einem Zustand zwischen “Fleisch” und “Boden dieser Erde”, zwischen Pflichten und den vielen anderen Besorgungen, zwischen Supermarkt und Post, man kämpft mit der Bürokratie, organisiert die Logistik für die Schulausflüge der Kinder und Familientreffen, füllt die Waschmaschine und den Geschirrspüler, hängt die Wäsche auf, geht ein paar Mal am Tag mit dem Hund spazieren, wechselt die Windeln für das Baby, versucht aufrichtig, aktiv und liebevoll mit seiner Frau und den Kindern zusammen zu sein und wünscht,  ihnen mehr von seiner Zeit, mehr von sich selbst geben zu können. … und zu allem Überfluss gibt es natürlich auch noch die Fußball-Europameisterschaft, die nur alle vier Jahre stattfindet, so dass es verlockend ist, diese zwischendurch zu verfolgen… Also: man ist in einer klassischen “Erwachsener-Ehemann-Vater-Arbeiter-Bürger-auch-Künstler”-Lage.

Aber irgendwie… mittendrin, irgendwo im Hinterkopf, mit dem geistigen Auge und Ohr hört man immer wieder diese Melodien, Klänge und Worte von Rihms ET LUX, die zu einem zurückkehren, auftauchen, verschwinden, sich einschleichen, plötzlich schreien, im nächsten Moment flüstern… Es fühlt sich an wie kurze Echos von Erinnerungen an die Ewigkeit, Einblicke in die Transzendenz, nach denen man sich frühmorgens und spätabends sehnt. Sum – ego – domine – et lux perpetua… in obscurum – de ore leonis – ne absorbeat eas – homo reus… ne cadat in obscurum – libera me – Jerusalem – ad te – libera – domine – et lux – exaudi orationem meam… 

Und die Melodien und Harmonien scheinen über dir und in dir zu schweben, und sie begleiten die Stimme des U-Bahn-Führers, der die Namen der Stationen vorliest, an denen du vorbeikommst, das Piepsen der Kassen, das Blinken der Ampeln… Und diese Töne und die Ansammlungen von ihnen, die Phrasen bilden, sie scheinen so vertraut zu sein, auch wenn sie eigentlich keinen historischen Bezug zitieren. Sie bewegen sich zwischen fast tonal und atonal, sie halten inne für eine Konsonanz, aber sie verweigern einen falschen oder endgültigen Trost.

Dasselbe gilt für die Worte: Ihr Klang gleicht einem sakralen Ritus, der aus der Ferne beobachtet wird. Die Reihenfolge der gebrochenen Sätze verliert die Richtung, bewegt sich und dreht sich im Kreis, nein: nicht einmal im Kreis, niemals im vollständigen Kreis. Sie sind mit Bedeutung aufgeladen, sie schließen vorübergehend Bündnisse mit himmlischen Zeichen, mit mächtigen Symbolen (zusammen mit der Musik, versteht sich, würde ein Musiker hinzufügen).

Aber man würde dieses Stück nicht in der Liturgie spielen können. Es wurde nicht für liturgische Zwecke komponiert. Es ist eher ein sehr privater Gebetsschrei, ein tränenreiches Hoffen. Ein absolut ehrliches, verwirrtes Bekenntnis der eigenen Gebrochenheit und eine Bitte um Erlösung.

 So oft habe ich das Gefühl, dass mein Leben diesem ET LUX in Musik und Text völlig gleicht. Ich lebe in einem Wolkenknäuel aus gut gemeinten Plänen, schnellen zwischenmenschlichen Begegnungen, müden Papa-Momenten, aufgeschobenen Träumen, augenblicklichen Sehnsüchten und intensiver Sehnsucht nach Ruhe und Frieden, nach einem wahren Frieden. Ich bewege mich in einer Wildnis von Versuchungen und Gesten des Widerstands gegen sie, zwischen Dingen, Gegenständen, Menschen und sogar Haustieren, die nach meiner Aufmerksamkeit verlangen. Auf den Flügeln schnell erdachter Gebete, Fürbitten, Segenswünschen, verzweifelter täglicher “Maranathas” sowie wahren Ausdrücken der Freude, der Dankbarkeit, des Staunens über jeden geschenkten Augenblick, über jedes Geräusch, jede Begegnung…

Und so webe ich meine Schritte, Gedanken und Herzschläge, bewusst oder unbewusst, und ich werde gewoben von:

…”Herr, du hast Worte des ewigen Lebens”…

…”zu wem sollen wir gehen?”…

…”wenn mir die Worte fehlen, trittst du dann für mich ein, Heiliger Geist?”…

…”in ihm bewegen wir uns und atmen und haben unser Sein”…

…”folge mir”…

…”Du bist der Weg”…

…„Libera me”…

Text: David Danel (LINK)

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Agenda

8. Februar 2025

Mit Kunst und Musik durch die Psalmen mit Gott in Dialog treten

Friesenberg Kirche   Zürich, Bus 32, 89, 73 bis Bushaltestelle Friesenbergstrasse

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