PrixPlus 2024
Bern Bern
Ich habe neulich im Buch eines Modeautors gelesen, die Gespenster seien verschwunden, weil das elektrische Licht aufkam. Welch ein Unsinn! Der Autor, der auf dem Gebiet des Übernatürlichen gerne dilettiert, hat sein Thema nicht einmal gestreift. Wenn es um turmbewehrte, von geköpften Opfern mit klirrenden Ketten bewachte Schlösser und komfortable Vorstadthäuser mit Kühlschrank und Zentralheizung geht, wo man, sobald man sie betritt, spürt: irgendwas stimmt hier nicht – ziehe ich für den Schauer, der einem über den Rücken läuft, letztere vor. Und ist es nicht auffällig, dass es im allgemeinen nicht die Überempfindlichen und Phantasiebegabten sind, die Gespenster sehen, sondern die ruhigen, nüchternen Leute, die nicht an sie glauben und sicher sind, es würde ihnen nichts ausmachen, wenn sie eines sähen?
Edith Wharton, Allerseelen, englisch 1937.
Ja, es ist so. Der Intellektuelle, der sich für gebildet und aufgeklärt hält und sich daher agnostisch oder atheistisch nennt, beschäftigt sich mehr mit Gott als der normale Fromme. Die Epoche, die sich für weitgereist und welterfahren hält und sich daher säkular und areligiös nennt, pflegt an Halloween keltische Geister und am Dia de los Muertos aztekische Götter. Die Popularkultur, die sich für befreit und ermächtigt hält und sich daher emanzipiert und autonom nennt, fällt bei Popkonzerten in Ekstase und singt Hymnen in Fankurven.
Ja, es ist so, achtzig Jahre nach Ghosts noch intensiver so: Das intellektuell, postmodern und nachchristlich unaufhörlich behauptete Verschwundensein von Religion fördert die Rückkehr der Geister durch jede nur denkbare Hintertür. Die emanzipierte Amerikanerin bringt es gleich zu Beginn auf den Punkt: Ein Modeautor verbreitet in einem Bestseller diesen Unsinn, weil er Mode ist und sich gut verkauft. Er dilettiert gerne, weil sich das rechnet. Man will es so haben. Man bekommt es.
Ja, es ist so. Der blutrünstige Film, der einen Horror aus ferner Vergangenheit oder ferner Zukunft aufdringlich beschwört, so steretyp und redundant, dass das Blut von der Kinoleinwand tropft, lässt mich kalt und langweilt, während der langsame Film, der eine Banalität des Alltags erzählt, in die jäh zwei Blutstropfen fallen, dem Schüler, der gerade hineinbeissen will, von oben aufs Pausenbrot, mir einen Schauer über den Rücken jagt und meine Vorstellungskraft erhitzt.
Reduktion statt Redundanz, Differenz statt Stereotypie: Das alte Rezept für Kultur, die nicht dilettiert, statt neuer Zivilisation, die gebildet tut, ist das eine. Das andere sind Erklärungen, die als passe-par-touts weitergereichert und nie hinterfragt werden, weil sie so unmittelbar einzuleuchten scheinen: Gespenster seien verschwunden, weil das elektrische Licht aufkam. In technologischer Attitüde ist dies derselbe Unsinn, den es auch in philosophischer Attitüde gibt: Die Epoche der Aufklärung, the Age of Enlightenment, le Siècle des Lumières habe allen, die denken, das Licht der Erkenntnis gebracht und das Mittelalter als finster entlarvt.
Die Stärke des Unsinns ist seine Beliebtheit. Sie nährt ihn von Generation zu Generation. So wird er zum Instrument geistiger Gängelung, das jeder gerne benutzt, der sich gerne herrschen sieht. Beispiele von 2020 ähneln denen von 1937.
Dabei wäre aus der finsteren Welt der Alten mancherlei Aufklärung zu holen. Prometheus etwa, der vorausdenkt statt hinterher, bringt den Menschen das Feuer gegen den Willen der Götter. Zur Strafe wird er an eine Steilwand des Kaukasus gefesselt, wo ihm regelmässig ein Adler die nachwachsende Leber wegfrisst. Erleuchtung und Erkenntnis sind das Geschenk eines leidenden Gottes! Es zu leugnen, auch den, der sagt, er sei das Licht der Welt (Joh 8,12), ist und bleibt dilettierender Unsinn.