Mit Kunst und Musik durch die Psalmen mit Gott in Dialog treten
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Yavuz Ekinci, Der Tag, an dem ein Mann vom Berg Amar kam, türkisch 2016.
Der Diktator nutzt jede Gelegenheit, sie als Terroristen zu brandmarken. Sein Aussenminister stellt Kollegen, die sich für sie einsetzen, als Kollaborateure von Terroristen dar. Dreissig Millionen sind sie, aber ohne Selbstbestimmung und auf vier Länder verteilt. Wo sie dank der Schwäche des jeweiligen Regimes Strukturen aufbauen können, werden diese bei nächster Gelegenheit wieder zerstört. Grossmächte nutzen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten, um sie nach geleisteter Arbeit über Nacht fallen zu lassen. Gerade sind wieder Zehntausende von ihnen auf der Flucht.
Der hier über sie schreibt, Yavuz Ekinci, hat zwar eine Muttersprache, kann sie aber nicht benutzen. Er ist Kurde und schreibt über Kurden einen kurdischen Roman. Das geht nur auf Umwegen. In dem Dorf, in dem meine Eltern leben, liegen auf dem Friedhof vierzehn Generationen meiner Vorväter, erzählt er im April 2017 in einem Interview der FAZ: Als es das erste Mal hiess, es werde vom türkischen Militär evakuiert, sagte mein Vater: Wir können ja vielleicht weg, aber was ist mit unseren Toten? Kurden lieben ihr Kurdistan so selbstverständlich wie Schweizer ihre Schweiz: Die Menschen in dieser Region sind sehr verwurzelt, sagt Ekinci, ihre Welt besteht aus dem Ort, an dem sie sind und schon immer waren. Sie können sich nicht vorstellen, dass es einen anderen für sie gibt.
In seinem Roman beschreibt er kurdisches Leben mit einer Mixtur aus Märchen, Mythen und Milieubildern. Auf literarischen Umwegen. Hier erzählt er aus der Perspektive Halbwüchsiger, wie vom Berg Amar herab plötzlich, einer mythischen Horde gleich, Leute auftauchten, die alles niederbrannten und zerstörten, was ihnen in den Weg kam. Im Fernglas sieht man sie und ruft in heller Aufregung immerfort: Sie kommen. Die Jungs haben Sorge, dass auch ihr Ball und ihr Fernseher, die bescheidenen Symbole kleinen Glücks, verbrennen und verkohlen würden. Wer sie sind, die da kommen, bleibt ungesagt, ebenso, ob sie tatsächlich gekommen sind.
Nur die Angst ist hier real. Aus Angst schaufelt einer neben dem Grab seiner verstorbenen Frau sein eigenes und legt sich hinein, um zu warten. Aus Angst hängt ein anderer seine ganze Habe in den Wipfel eines Baums und verbirgt sich in der Nähe, um zu überleben. Aus Angst verstecken die Jungs ihren Fernseher in einer Höhle, eingewickelt und getarnt wie ein Schatz, um ihn nach der Katastrophe wieder hervorholen zu können. Er steht für alles Ersehnte und Gefährdete. Die Moderne repräsentiert er, ist Verbindung zur Welt und zur Zeit, Quelle von Bildung, Information und Unterhaltung, Garantie, zur Gemeinschaft der Völker zu gehören und nicht von ihr ausgeschlossen zu sein. Der Fernseher ist ein Versprechen. Doch nun herrscht nackte Angst. So mythisch, wie er begonnen hat, schliesst der Roman in der Welt der Tiere: Eine Feuerwalze hat sie überrollt. Alles ist verbrannt und verkohlt. Ein Eichhörnchen hüpft mit versengtem Schwanz durch versengte Bäume …
Wie real die Angst der Kurden ist, von der Ekincis Roman erzählt, sagen gerade eben die Nachrichten vom Diktator und seinem Aussenminister. Ohne Umwege.