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30.
Mai
2015

Lukas 1,46-55: Das Magnificat

“Denn Grosses hat er, der mächtig ist, an mir getan. Und heilig ist sein Name.”

Das Magnifikat ist einer der bekanntesten Bibeltexte. Es nimmt in der liturgischen Tradition vieler Kirchen einen prominenten Platz ein, und ist unzählige Male vertont worden. Kürzlich durfte ich diese wundervollen Worte mit ganz neuen Augen betrachten – bei einer Abendandacht im Berliner Stadtkloster Segen.

Die dort gebotene Auslegung erfuhr ich als sehr ermutigend und erfrischend. Der Pfarrer, der durch den Gottesdienst führte, liess die Besucher zunächst den Text lesen und jene Stellen unterstreichen, die ihnen besonders wichtig erschienen.

Es war eine schlichte, aber sehr hilfreiche Übung, die ich jedem TUNE IN-Leser wärmstens empfehlen kann! Doch hier sollen ein paar eigene Gedanken folgen, die wir uns in jener Abendandacht gemacht haben.

V. 48: “Denn hingesehen hat er auf die Niedrigkeit seiner Magd…” Dieser Vers spricht von einem Gott, der handelt. Er sieht auf seine Magd und wendet sich ihr zu. Er, der Mächtige, hat Grosses an ihr getan. Er zeigt Gnade, Stärke, Kraft und Grosszügigkeit. Er erweist all dies – und dabei vor allem seine Liebe – einem einfachen jüdischen Mädchen. Und ebenso erweist er sie einem armen, unterdrückten Volk. Seine Verheissungen und seine Liebe sind dabei so unvergänglich wie seine Gnade.

Wie oft streben, schaffen und kämpfen wir in unserem Leben nicht bis an die Grenzen der emotionalen – und sogar geistlichen Erschöpfung – und vergessen dabei, dass wir einen Gott haben, der handelt und uns hilft? Wie wenig wirken wir dann aus einer inneren Ruhe und aus einem tiefen Gottesvertrauen heraus, sondern als solche, die ihrem Leben verzweifelt einen besonderen Sinn geben wollen?

Nun sind wir zwar dazu berufen, uns einzusetzen und nicht selten auch zu kämpfen. Wichtig ist aber, dass wir dies nicht aus eigener Kraft tun, sondern aus Gottes Kraft und im Vertrauen auf seine Stärke und Güte. Erst dann werden wir auch erfahren, dass sein Frieden in uns wohnt. Was würde das alles für unser künstlerisches Schaffen und für unser ganzes Leben (als Künstler und privat) bedeuten: Glauben können, dass Gott sich uns zuwendet, dass er handelt und auch in unserem Leben wirken will?

V. 52: “Er hat die Mächtigen von ihrem Thron gestürzt und Niedrige erhöht…” Es gibt in diesem Lied einen beständigen Wechsel von oben und unten. Maria nennt sich selbst eine niedrige Magd, die vor allem nach Gottes Segen strebt. Die Mächtigen werden erniedrigt und die Niedrigen erhöht. Die Hungrigen werden gesättigt, die Satten gehen aber leer aus. Das Reich Gottes wird zuweilen etwas salopp ein “umgekehrtes Königreich” genannt. Und in der Tat: Nicht nur in diesem Lied, sondern durch die ganze Bibel hindurch und besonders in der Lehre Jesu wird deutlich, wie sehr Gottes Masstäbe von unseren menschlichen abweichen.

So lesen wir in Micha 6,8: Gott will, dass wir “Recht üben, Güte lieben und in Demut mit Gott gehen.” Und Jesus gebietet: “Liebe den Herrn, deinen Gott aus ganzem Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit all deinem Denken und mit deiner ganzen Kraft” (Markus 12,30).

Da wird weder das Streben nach Erfolg empfohlen noch das Ringen um Wohlstand, weder die Suche nach Popularität noch der Gesundheitswahn. Die Gebote bringen uns hingegen Gottes gute Massstäbe auf, an denen wir uns ungeachtet unserer Lebensumstände auszurichten haben.

Georg Schubert, einer der Pfarrer jener Abendbesinnung, nannte das Magnifikat einen “Ruf gegen den Fatalismus”. Was für ein wundervoller Gedanke! Tappen wir nicht sehr leicht in die Falle des Determinismus hinein? Das heisst: Wir können nicht mehr glauben, dass sich die Dinge irgend einmal ändern werden. Dass wir beispielsweise eines Tages nicht mehr die Opfer unserer eigenen Zerbrochenheit (und der Zerbrochenheit der Welt um uns herum) sein müssen?

Als Christen warten wir doch gespannt auf die letzte Wiederherstellung der Dinge, die vollends dann eintritt, wenn das Reich Gottes diese Welt umgestalten wird. Dies bedeutet, dass Gott bereits hier und jetzt so handelt und dass die angekündigte Wiederherstellung bereits hier wirksam wird.

Dies setzt Hoffnung frei! Mit neuer Hoffnung bitten wir Gott, uns beizustehen und sich als ein handelnder Gott zu erweisen, der helfend in unser Leben eingreift. Und dies setzt auch unsere eigene Tatkraft frei, mit der wir nun zielstrebig ans Werk gehen können.

So gilt: Gott liebt uns und setzt sich für uns ein. Er gibt uns durch seinen Geist Kraft. Dieser mächtige und gewaltige Gott geht gnädig mit uns um und füllt unsere leeren Herzen und Hände mit guten Dingen. Wenn wir dies immer mehr erkennen und erfahren, können wir mit Maria und mit anderen Christen rund um die Welt in jenes alte Lied einstimmen, das durch die Jahrhunderte zu uns herüberklingt: “Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freut sich in Gott, meinem Retter.”

Fragen:

  • Wie handelt und wirkt Gott in meinem Leben?
  • Wie und wo erfahre ich: Er wendet sich mir zu?
  • Arbeite ich aus eigener Kraft und ringe möglicherweise verzweifelt um Bestätigung durch andere Menschen?
  • Oder kann ich mich bei diesem starken Gott auszuruhen und mein Tagwerk aus jenem inneren Frieden heraus anzupacken, der daraus folgt?
  • Was heisst das dann für mich?
  • Bin ich selbst als Christ in Gefahr, einem deterministischen oder gar fatalistischen Weltbild zu erliegen?
  • Oder wo sollte Gott bestimmte Bereiche meines Lebens und Denkens mit Hoffnung durchdringen?
  • Spricht mein künstlerisches Schaffen und mein ganzes Leben von dieser Hoffnung und Wiederherstellung (oder vom Ruf danach) oder vielleicht eher von einer fatalistischen Weltsicht?

TUNE IN 126 vom 30. Mai 2015 | Unser Text ist von Lauren Franklin-Steinmetz (Cellistin, Berlin) | Übertragung:  Beat Rink, Präsident von ARTS+ | Weitere  TUNE INs findest Du hier | Youtube Link zu Arvo Pärt’s (*1935) Vertonung des Magnificat, komponiert 1989: https://www.youtube.com/watch?v=1A6BfyhFSVQ

 

 

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