KIRCHE KREATIV
KULTURKIRCHE PAULUS Basel Basel
Im TUNE IN 138 war die Rede davon, dass der Unterricht (auch in Kunst-, Ballett-, Schauspiel- und Musikschulen) nicht sklavisch einem absoluten Qualitätsanspruch folgen darf, der blind macht für die individuellen Begabungen der Schüler und Studenten. In einem interessanten Interview sagt der Jazzmusiker und Mit-Begründer von “Crescendo Jazz”, Uwe Steinmetz, ähnliches – mit Blick auf das Thema “Musik in der Kirche”.
Dahinter steht eine wichtige theologische Einsicht und Erfahrung: Gott geht es um das einzelne Gegenüber, nicht um die Masse. Er geht auf jeden Menschen persönlich ein. Das ist das Wesen der Liebe. Dies wird etwa deutlich, wo in der Bibel vom “Namen” die Rede ist.
Der Name steht für die unverwechselbare Persönlichkeit: “Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!” (Jesaja 43,1). “Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind” (Jesus zu seinen Jüngern in Lukas 10,20).
Die Frage ist, ob wir zulassen, dass Gott uns “beim Namen nennt”. Er hat keinen Absolutheitsanspruch an uns! Die zweite Frage lautet dann, ob wir auch andere in ihrer Persönlichkeit schätzen und ernstnehmen – und ob wir mit “gottgeschenkter Liebe” auf sie eingehen. Das wird auch unser pädagogisches Verhalten als Künstler prägen. Oder die Arbeit mit Laien in der Kirche, wie Uwe Steinmetz ausführt.
Der Blues hat eigentlich religiöse Wurzeln? Ja, in mehrfacher Hinsicht. Die Gesangstechniken kamen zu dieser Zeit aus dem Gospel der schwarzen Kirchen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildeten. Und dann haben die Sänger sich selber auf der Gitarre begleitet, neue Spieltechniken erfunden und so eine ganze Band ersetzt.
In sehr kurzer Zeit ist so ein bestimmter Musikstil entstanden und zwar aus der Notwendigkeit heraus, eine persönliche Botschaft zu formulieren, egal ob ich eine Band habe oder nicht. Diese Wurzel ist auch im Jazz erhalten geblieben, die Notwendigkeit zum eigenen Ausdruck.
So gesehen ist Jazz also die ideale protestantische Kirchenmusik… Die Musik in unseren Kirchen ist noch stark von den festen Formen beeinflusst und besitzt relativ wenig Freiheit. Es gibt Noten, es gibt Lehrmeinungen und klare Vorbilder, wie die Musik zu klingen hat.
Dieses Ideal versucht man dann mit der Kantorei oder dem Bläserchor oft unter grossem Stress zu erreichen. Oder man lässt ein Raumschiff in der Kirche landen, indem man Geld für besonders gute Musiker ausgibt und eine Bachkantate mit ihnen virtuos aufführt. Und man meint, damit in einer langen Tradition zu stehen.
Aber so haben Bach oder Monteverdi gar nicht gearbeitet. Die haben relativ spontan musiziert, auch im Gottesdienst schnell mal ein neues Stück ohne langes Proben gesungen. Das klang bestimmt nicht immer virtuos. Aber diese Musik war verbunden mit dem Ort und der Situation.
Ist denn diese Verbundenheit wichtig für Kirchenmusik? Ich denke schon. Kirchenmusik sollte so sein wie eine Predigt, die Leute an den Ort bindet, etwas Lokales erlebbar macht, sie muss immer wieder neu aus dem Moment heraus entstehen.
Ich sehe den idealen Kirchenmusiker nicht als Gralshüter der Traditionen, sondern eher als eine Art musikalischen Direktor, der schaut, welche Menschen in seiner Gemeinde musikalisch Gottesdienste gestalten können.
Er muss runter von der Empore und mit diesen Menschen unten einen Teppich weben, mit allen Aspekten und auch Fehlbarkeiten. Dann entsteht etwas Authentisches und Kollektives, das eben nur diese Menschen an diesem Ort gemeinsam schaffen.
Wenn auch den Zuhörern deutlich wird, dass es nicht so sehr um Perfektion geht, sondern um das Situative, das Authentische, gibt das ein Gefühl von Heimat, weswegen sie gerne wieder in die Kirche kommen. Das klingt traditionell, ist es aber nicht, weil es gar nicht mehr so oft stattfindet.
Haben Sie das schon mit ihren eigenen Projekten erlebt? Sie spielen ja immer wieder in Kirchen gemeinsam mit musikalischen Laien… Ja, und es ist fast immer eine Bereicherung für beide Seiten. Ich hatte ein tolles Erlebnis im vergangenen Jahr im Alten Land bei Hamburg mit unserem Ensemble Waves. Die Chorleiterin war Lehrerin, aber der Chor bestand überwiegend aus Bäuerinnen und Bauern, die von diesen wunderschönen alten Höfen kamen.
Und mit denen haben Sie Jazz in der Kirche gemacht? Das war die Vorlage, ein gemeinsames Konzert in der Kirche. Wir mussten erstmal schauen, was zusammengeht. Dreistimmiger Gesang haute nicht hin, zweistimmig klappte es auch nicht recht, dann hat der Chor eben einstimmig gesungen.
Und das hat er grossartig gemacht: Fünfzig erwachsene Menschen, Bäuerinnen und Bauern mit all ihrer Erdung und Erfahrung, die mitklang – das war die totale Power.
Welche Stücke haben Sie mit diesem Chor gesungen? Lieder, die alle kannten, auch Volkslieder, aber wir haben die Stücke dann neu bearbeitet, auf einer Orgel mit alter Stimmung begleitet. Wir haben versucht, den Raum zu nutzen.
Ich lasse Menschen gerne improvisieren, bitte sie, zwei Wörter aus dem Liedtext zu nehmen, vielleicht auch aus einem Psalm, die ihnen besonders viel sagen, zum Beispiel Sonne oder Regen. Und dann sollen sie aussprechen, was sie denken, diese Gedanken immer wiederholen, es den Leuten zusprechen. So entsteht ein kollektiver Improvisationsprozess.
Wir kamen dann auf fallende Mauern, was sich in der Biographie der Leute niedergeschlagen hatte, weil nach dem Mauerfall viele Tschechen und Polen als Erntehelfer zu ihnen kamen. Damit war das Eis gebrochen und wir haben tolle gemeinsame Musik gemacht.
Aber diejenigen, die Kirchenmusik nach den klassischen Kriterien beurteilen, folgen Ihnen nicht immer. Nein, natürlich haben wir auch Kritiker, die uns danach beurteilen, wie nah wir dem vermeintlichen Ideal der Perfektion in Punkto Klangreinheit und Tonhöhe kommen. Und wir kassieren auch Verrisse, die wir vielleicht verhindern könnten, wenn wir nur mit Profis arbeiten würden. Aber die reale Kirchenmusik ist anders, und sie muss es auch sein.
Es ist bedeutsam, wenn sich ein Chor mit für ihn ungewöhnlicher Musik auseinandersetzen muss, sich daran reibt, sich auch aufregt. Aber am Ende findet man sich dann doch zusammen. Und wenn ich die Aufnahmen höre, erinnere ich mich an diesen Prozess, an das Menschliche in der Musik, das Blues-Element, das nur in dieser Situation mit diesen Menschen möglich war. Das sind gelebte Blue Notes. Und die gilt es zu stärken!
* “Wir sind dem Blues sehr nahe”. Gespräch mit dem Musiker Uwe Steinmetz über Erde, Himmel, gelebte Blue Notes und die Zukunft wahrer Kirchenmusik, erschienen im Magazin Zeitzeichen, Nr. 08/2015 | TUNE IN 139 vom 30. August 2015 | Unser Text ist von Uwe Steinmetz (Saxophon), Berlin, Mitbegründer und Co-Leiter von “Crescendo Jazz” | Übersetzung, Bill Buchanan | Weitere TUNE INs findest Du hier