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III. Paulus gibt praktische Ratschläge: Es braucht in der Gemeinde eine Auslegung der Zungenrede (darunter versteht man unverständliches Sprechen, insbesondere im Gebet [die Red.] – s. dazu auch TUNE IN 130) und einen geordneten Vortrag der Zungenrede selber: “So jemand mit Zungen redet, so seien es ihrer zwei oder aufs meiste drei, und einer um den andern; und einer lege es aus. Ist aber kein Ausleger da, so schweige er in der Gemeinde, rede aber sich selber und Gott.“
Um Kunst in den Gottesdienst fruchtbar einzubringen, bedarf es nicht zwingenderweise menschlicher Ausleger oder Interpreten. Aber wir Künstler müssen selber bestimmt über die Themen der Stücke nachdenken, die wir einbringen möchten. Und über deren Verbindungen zur Ordnung des Gottesdienstes, des Kirchenjahres und konkreter biblischer Passagen.
Die Bibel spricht über das Leben in der Welt als ein Ganzes – es sollte also kein Problem für uns sein, eine Verbindung herzustellen zwischen einer biblischen Passage und einem jeweiligen essentiellen künstlerischen Arbeitsthema. Manchmal lässt sich z. B. auch ein Musikstück leichter in einen Gottesdienst einbringen in Verbindung mit einer Fotografie, einem Bild oder einem Gedicht. Dies sind alles legitime Wege der “Auslegung”.
Der wichtige Punkt hier ist: Es ist unsere Verantwortung, als Künstler passende “Auslegungen” für unsere Kunstwerke zu entdecken. Dies ist eine Herausforderung, aber auf jeden Fall eine, die sich auszahlt – auch für unser eigenes geistliches Wachstum. Es bleibt allerdings trotzdem die Frage: “Gibt es einen anderen Weg, uns einzubringen? Gibt es Kunst „die sich selber auslegt”?
IV. Für Paulus muss alles zur Stärkung und Besserung der Gemeinde geschehen (Vers 27ff). Nach seinem Verständnis trägt der Prophet/Priester bedeutend mehr zu einem gelingenden Gottesdienst bei als dies ein einzelner Künstler tun könnte. Wir können die Gemeinde stärken und am fruchtbarsten für sie sein, wenn wir verstehen, dass wir als Künstler zunächst einmal poetische Gaben besitzen mit stark individueller Note – ähnlich der Zungenrede.
Wenn wir uns dienend in Gottesdienste und Liturgie einbringen wollen, müssen wir unsere Kunst ermächtigen, dass sie interpretierbar ist. Dann kann Kunst den Status einer individuellen Gabe überschreiten: Kunst wird prophetisch, weil sie ein anderes Licht auf eine biblische Passage werfen kann. Oder sie kann auf ihre eigene Art eine Stelle im Gottesdienst emotional verstärken.
Kunst kann helfen, den notwendigen inneren Frieden, Stille und Offenheit für Gebet, Fürbitten und Anbetung zu schaffen. Sie kann helfen, sich frisch mit Gott zu verbinden. Martin Luther insistiert darauf, dass Musik ein Geschwisterkind der Theologie ist – und dass sie dasselbe Potential in der Verkündigung des Evangeliums hat. Ich möchte dies ausweiten und behaupten: “Kunst ist ein Geschwisterkind der Theologie in der Verkündigung, wenn sie in der Liturgie interpretiert wird oder interpretierbar erscheint.”
V. Aus dem bisher Gesagten leitet sich selbstverständlich ab, dass es keine eindeutigen Grenzen zwischen “sakraler Kunst” und “säkularer Kunst” gibt. Ich möchte nicht einmal behaupten, klare Kriterien für eine von diesen beiden Begriffe zur Hand zu haben. Allerdings ist es angebracht, darauf hinzuweisen, dass ein fruchtbarer Weg für die Einbindung von Kunst in gottesdienstliche Abläufen darin besteht, Kunst als zu interpretierende Poesie zu verstehen, die auf das Transzendente hinweist. Und damit als geistliche Quelle, die in der angelsächsischen evangelischen Theologie als “Common Grace” bezeichnet wird.
Der künstlerische Schaffensprozess ist dabei ein “1:1 mit Gott”, eine Auseinandersetzung zwischen Künstler und seinen Glaubenserfahrungen. In diesem Sinne hat zunächst alle Kunst, die von diesem künstlerischen Verständnis her geschaffen wird, das Potential, liturgisch eingesetzt zu werden.
Allerdings sind letztlich die entscheidenden Faktoren: Können die konkrete kirchliche Gemeinschaft und die Pastoren eine fruchtbare Einbindung von Kunst ermöglichen? Für mich ist noch ein anderer Punkt wesentlich spannender als die Frage des Beitrages des Künstlers in den Kirchen: Inwiefern kann der Künstler in Kunstausstellungen, Theaterstücken, Filmen, Jazzclubs und Konzertsälen frei liturgisch arbeiten – ohne “christianesischen” künstlerischen Zungenschlag (siehe Punkt II. in TUNE IN 130)?
Es ist für mich deutlich geworden das die christlichen Künstler, die für ihr Publikum deutliche spirituelle Erfahrungen vermitteln, über die Fähigkeit verfügen, ihre Kunst “interpretierbar” zu machen. Es sind Künstler, die auch in kirchlichen Gemeinschaften aktiv sind. Sie mögen nicht immer all ihre Kunst in ihrer Heimatgemeinde einbringen. Aber sie werden durch ihre gemeindlichen Erfahrungen dazu “ermächtigt”, prophetisch und poetisch mit ihrer Kunst zu wirken.
Auf diese Weise können sie “Heiler” für die Gesellschaft sein, in der sie wirken – eine Funktion die der christliche Jazzmusiker Brian Blade als seine eigene Mission definiert. Hier folgen wir dann direkt Christus, denn wir verstecken nicht unsere Gott gegebenen Gaben, sondern nutzen sie. Wenn wir motiviert sind, unsere Gaben mit Kirche zu kombinieren, dann wird sich dies ebenso positiv auf unseren künstlerischen Ausdruck ausserhalb von Kirchen geistlich auswirken!
Der Jazzsänger Kurt Elling (im Video oben), der als Lutheraner aufwuchs und sogar Theologie studierte, fasst dies zusammen am Ende eines seiner Essays über “Spirituality, Poetry and Jazz“, indem er darauf hinweist, dass ein erschaffenes Kunstwerk eine Bedeutung annehmen kann, die auf einen Gott hinweist, den Menschen unterschiedlicher Glaubenstraditionen und Religionen erfahren:
“Manchmal sprechen mich Fans nach einer Show an und sagen Dinge wie: ‘Ich bin so froh, dass ein christlicher Jazz-Musiker sich für Gott stark macht in seiner Musik’ oder ‘Danke, dass Du ein so vorbildlicher Christ bist’.
Dann muss ich sie stoppen und sage: ‘Es tut mir leid, aber während ich ein Christ auf so viele Weisen bin und mich auf diese Tradition klar beziehe, bin ich gleichsam auch kein Christ, ebenso wie ich gleichsam ein Jude und kein Jude, ein Moslem und kein Moslem bin.’
Dann sagen sie: ‘Was bedeutet das?’ und ich antworte: ‘Es bedeutet: Ich bin Künstler.’ Die Rolle des Künstlers, die Goldminen dichterischer Wahrheit in unserer Zeit zu entdecken, ist sowohl eine zugleich hohe intellektuelle als auch geistige Disziplin. Es ist eine Berufung, in der man die eigenen Ängste überwinden muss auf der Suche nach dem Verstärken und Erschaffen von Bedeutung.
Diese künstlerische Arbeit ist ein Fluch und ein Segen zugleich, eine Versuchung und eine Freude. Aber dies gehört zu uns, zu allen von uns. Es gilt für alle von uns, zu leben, zu lieben, dankbar zu sein, zu singen. Ergeben darin, dass wir gleichzeitig die bescheidenen Empfänger und die stolzen Schöpfer eines Liedes sind, das uns umgibt, tanzen wir weiter dahin.”
Zusammenfassend schlage ich vor, eine Zeit darüber nachzudenken, wie es sich anfühlt, die eigene Kunst als eine interpretierbare Zungenrede zu betrachten. Wenn wir der Kirche dienen wollen, müssen wir Zungenredner, Ausleger und im besten Falle Propheten werden! Es macht mich bescheiden und demütig, aber ich bin auch sehr dankbar für desen gewinnbringenden Gedanken, dass ich allein dafür verantwortlich bin, meine Kunst verständlich und nutzbar für die Kirche zu machen.
Ich freue mich über jeden Moment, in dem ich erfahre, dass Kunst heildend wirkt und dass sie über unsere momentanen Ängste und Bedürfnisse hinaus auf Gott hinweist – unabhängig davon, ob dies in oder außerhalb von Kirchen stattfindet.
Fragen:
TUNE IN 131 vom 6. Juli 2015 | Unser Text ist von Uwe Steinmetz (Saxophon), Berlin, Mitbegründer und Co-Leiter von “Crescendo Jazz” | Übersetzung von Beat Rink, Präsident von ARTS+| Weitere TUNE INs findest Du hier