KIRCHE KREATIV
KULTURKIRCHE PAULUS Basel Basel
[vc_row][vc_column width=”1/1″][vc_column_text]„Einer trage des anderen Last. So werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“[/vc_column_text][vc_column_text]
Was sagt das Wort uns Künstlern? Sicher sollte es so zu uns sprechen wie es zu jedem anderen Menschen spricht: als Aufforderung, anderen nahe zu sein, ihnen zuzuhören, ihnen Verständnis zu zeigen, vielleicht da und dort einen Rat zu geben, ihnen tatkräftig zu helfen, mit ihnen zu beten usw. Wir Künstler können uns also nicht darauf berufen, dass wir „zu Höherem bestimmt“ seien und deshalb keine Zeit und keine „Berufung“ für unsere Nächsten hätten. Und ebenso wie andere uns brauchen, so brauchen wir andere…
Zweitens sagt dieses Wort auch etwas über die Kunst aus. Denn solche Worte der Bibel können nur umfassend verstanden werden. Das heisst: Sie haben in jedem Bereich etwas zu sagen – auch in der Kunst. Es wird dann spannend, wenn wir ganz konsequent fragen: „Die Kunst trage die Last der anderen – was heisst das“?
Dass Kunst eine entlastende Wirkung hat, wusste schon Aristoteles (384-322 v.Chr). Er meinte, die im Schauspiel erregten Affekte „Mitleid“ und „Furcht“ bewirkten beim Zuschauer eine Reinigung (Katharsis). Was genau gereinigt werden sollte, liess Aristoteles allerdings im Unklaren.
Doch Aristoteles hatte etwas Richtiges gesehen, wovon wir alle auch erzählen könnten: Wenn uns ein Film, ein Roman, ein Musikstück oder ein Bild zutiefst anrührt, wenn Kunst Mitleid weckt oder eine Spannung aufbaut und wieder löst, dann fühlen wir uns auf einmal selber entspannt und irgendwie befreit.
Vielleicht deshalb
…weil wir unseren Alltag mit den Sorgen hinter uns lassen können
…weil wir eine Lebenssituation plötzlich aus einem anderen Blickwinkel sehen
…weil wir für etwas, was bisher undefinierbar war, auf einmal eine „Sprache“ gefunden haben- auch wenn diese nicht verbal ist
…weil wir merken: wir sind mit unseren Ängsten und Problemen nicht allein
…weil wir „Schönheit“ und „ästhetische Qualität“ erfahren
…weil sich unsere Verschlossenheit lockert, wie der Theologe Romano Guardini (1885-1968) sagt. Er meint damit in etwa: Wir sind uns selber meistens fremd und begegnen durch das Werk uns selber auf neue Weise: „Die Schwere des eigenen undurchlebten Vorhandenseins leichtet sich.“
…und noch vieles mehr
Dianne Collard ist eine amerikanische Christin, deren ältester Sohn 1992 ermordet wurde. Sie erzählt:
„Ich hatte als Kind nicht viel von Kunst mitbekommen – weder von meinen Eltern noch in der Kirche. Als junge Erwachsene entdeckte ich dann in mir eine Freude an Kunst und ein tiefes Bedürfnis danach. Doch hatte ich keine Ahnung, wie stark dieses Bedürfnis noch werden konnte – bis zum Jahr nach der Ermordung meines ältesten Sohns anno 1992. In jenen dunklen Stunden der Trauer und des Schmerzes fand ich Trost und Frieden in den Kunstmuseen von Wien. Wir lebten damals als Missionare in Wien. Gottes heilende Gnade berührte mich und ein Heilungsprozess begann, der mich in die Schönheit und Schöpfungskraft der Gemälde an den Wänden des Kunsthistorischen Museums eintauchen liess. Kunst erreichte die verborgendsten Schichten meiner Seele, wo Worte nicht mehr hinreichten. Ich erfuhr, wie Gottes Wort durch die Spuren des Schöpfergottes in den geschaffenen Kunstwerken lebendig wurde. Meine Geist wurde durch die Zeichen seiner Güte, Schönheit und Wahrheit erneuert, wie sie in Linien, Formen und Farben sichtbar wurden.“*
Einen anderen Bericht hören wir von der 1903 in Prag geborenen, mittlerweile 110-jährigen jüdischen Pianistin Alice Herz-Sommer (aus einem Interview in „Crescendo“ Nr.78):
„Es war in Prag, wo ich geboren wurde, wo ich geheiratet hatte und mit meinem Mann und unserem Sohn lebte. Hitler war einmarschiert und eines Tages wurde meine Mutter deportiert. Es war der tiefste Punkt meines Lebens. Bis heute weiss man nicht, wo sie starb. Nachdem meine Mutter also deportiert worden war, fiel ich in eine Depression. Nichts konnte mir helfen, nichts konnte mich mehr erfreuen. Nicht einmal mein Kind. Eines Tages lief ich durch die Strassen Prags und – ich weiss noch heute, wo es geschah – da hörte ich plötzlich eine innere Stimme: ‘Übe die 24 Etüden von Chopin. Das wird dich retten!’ Ich rannte nach Hause, setzte mich ans Klavier und übte von nun an täglich stundenlang Chopins Etüden. Nun hat jeder Pianist sechs oder acht Etüden in seinem Repertoire. Aber alle vierundzwanzig? Es sind ja ganz grossartige Meisterwerke, dem Hamlet von Shakespeare vergleichbar, und sehr schwierig zu spielen.“ Und dann erzählt Alice Herz-Sommer davon, wie ihr das Üben der Etüden aus der Depression herausgeholfen hat.
Zum Schluss einige Fragen:
> Was heisst es für uns persönlich: Einer trage des anderen Last?
> Wo haben wir schon erlebt, wie Kunst uns befreit – oder anders gesagt: wie Gott Kunst gebraucht, um uns Lasten abzunehmen?
> Welche Kunstwerke sollten wir noch mehr anschauen, lesen, hören , selber spielen – oder gar selber erschaffen, die „Lasten tragen“? Und welche sollten wir vermeiden, die „Lasten auferlegen“?
> Und wo gibt es wirklich gute Kunst, die darauf hinweist, dass letztlich nur Jesus Christus die Lasten abnehmen kann?
„Jesus Christus , hilf mir, Lasten anderer zu tragen – und auch meine Lasten von anderen tragen zu lassen. Und bewirke durch meine Kunst hindurch, dass Menschen frei werden von drückenden Lasten. Lass sie dabei nicht nur eine vorübergehende Katharsis erfahren, sondern zumindest eine Ahnung von dir bekommen, der all unsere Last trägt. Amen.“
Tune In 56 vom 21. Januar 2014 | Text: Beat Rink, Präsident von ARTS+
* Inzwischen hat Dianne Collard eine Doktorarbeit zum Thema „Die Rolle der bildenden Kunst in den (Frei-)Kirchen in Deutschland und Spanien“ sowie ein Buch über die Versöhnung mit dem Mörder ihres Sohnes geschrieben – und wie sie diesen zum Glauben an Jesus Christus geführt hat. Sie engagiert sich im Leitungsteam von ARTS+ Europa, einer europäischen Initiative nach dem Vorbild von ARTS+.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]