Der Live-Abend zu KREUZWEISE – Ein Zusammenspiel von Gedanken, Bildern & Musik
Kulturhalle Glärnisch, Wädenswil
“Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der daran glaubt…” (Römer 1,16)
Anlässlich des 65. Geburtstages von Alfred Döblin traf sich am 14. August 1943 – im kleinen Theatersaal von Santa Monica (Kalifornien) ein illustrer Kreis von deutschen Emigranten, vor allem Schriftsteller. Alfred Döblin war der Verfasser des vielgepriesenen expressionistischen Romans „Berlin Alexanderplatz“. Unter den Gästen befanden sich Bertolt Brecht, seine Frau Helene Weigel, die Brüder Thomas und Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und der Komponist Hanns Eisler. Man feierte zusammen. Doch dann geschah etwas Schockierendes. Döblin erhob sich und bekannte, dass er, der jüdische Intellektuelle, zum christlichen Glauben gefunden habe und katholisch getauft worden sei. Es kam zum Eklat. Einige Gäste verließen sogar die Feier, ohne sich zu verabschieden. Einige Tage später schrieb Berthold Brecht ein Gedicht über dieses Erdbeben im Kreis der Intellektuellen.
Die Stimmung war gerührt. Das Fest nahte seinem Ende.
Da betrat der gefeierte Gott die Plattform, die den Künstlern gehört
Und erklärte mit lauter Stimme
Vor meinen schweißgebadeten Freunden und Schülern
dass er soeben eine Erleuchtung erlitten habe und nunmehr
Religiös geworden sei und mit unziemlicher Hast
Setzte er sich herausfordernd einen mottenzerfressenen Pfaffenhut auf
Ging unzüchtig auf die Knie nieder und stimmte
Schamlos ein freches Kirchenlied an, so die irreligiösen Gefühle
Seiner Zuhörer verletzend, unter denen
Jugendliche waren.
Seit drei Tagen
habe ich nicht gewagt, meinen Freunden und Schülern
unter die Augen zu treten, so
Schäme ich mich.
Dieses Gedicht wird im allgemeinen als ein Schmähgedicht auf Döblin gelesen. Ich bin mir da nicht so sicher. Zu deutlich wird darin die unverhältnismässig starke Reaktion der intellektuellen Elite aufs Korn genommen, die das Bekenntnis “unzüchtig”, „schamlos“ und „frech“ findet, die sich in ihren “irreligiösen Gefühlen” verletzt sieht und die am liebsten auch die „Jugendlichen“ vor dieser ungebührlichen Handlung fernhalten möchte.
Berthold Brecht war ein profounder Bibelkenner. Auf die Frage, welches sein Lieblingsbuch sei, hatte er einmal geantwortet: “Sie werden lachen, die Bibel”. Deshalb wird er bei seiner letzten Zeile bestimmt an Römer 1,16 gedacht haben. Im Unterschied zu Paulus schämt sich aber das “lyrische Ich”. Wofür es sich genau schämt, bleibt aber in der Schwebe. Die Scham gilt kaum nur dem Bekenntnis von Alfred Döblin, sondern wohl ebenso sehr auch der intoleranten Haltung von Brechts Kollegen und Studenten. Schwingt vielleicht sogar eine heimliche Bewunderung für Döblin mit? Jedenfalls leistet das Gedicht etwas Besonderes: Es deckt eine anti-religiöse Intoleranz auf, wie sie unter Intellektuellen des 20. Jahrhunderts Mode war – und weiträumig ins 21. Jahrhundert hinein vererbt wurde.
So gelesen, spornt das Gedicht von Brecht zum Widerstand gegen diese Intoleranz auf und ermutigt dazu, sich für seinen Glauben nicht zu schämen.
Fragen (vielleicht für eine Diskussion in einem Künstlerkreis):
Wie und wo kann ich selber (gerade auch als Künstler) mit Paulus sagen: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht“?
Erfahre ich überhaupt, dass es in meinem Leben eine „Kraft Gottes“ ist? Wie?
Text: Beat Rink