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Viele Christen stolpern über die Frage: “Was ist eigentlich Gottes Wille?” Sie versuchen, den Willen Gottes exakt zu erforschen und fürchten, Seine Führung irgendwie zu verpassen. Manche denken sogar, ihr Leben werde in einem völligen Desaster enden, sollten sie nicht richtig auf Gott hören.
Auch gläubige Künstler sind gegen solche beunruhigenden Gedanken nicht immun. Diese stellen sich besonders dann ein, wenn sich der künstlerische Werdegang und die Karriere langsamer als bei den Kollegen entwickeln. Dann sind sie besonders anfällig für den Gedanken, sie hätten auf die eine oder andere Weise Gottes Unmut auf sich gezogen.
Aus meiner Beobachtung – und aus meinen Erinnerungen an die Erfahrungen, die ich in meiner Jugend machte – komme ich zum Schluss, dass viele dieser irritierenden Gedanken in einer falschen Bibelinterpreation wurzeln, genauer in der Verwechslung zwischen offenbartem und verborgenem Willen Gottes. Es lohnt sich, näher darauf einzugehen, um diese beiden Seiten des Willen Gottes unterscheiden zu können.
Das Alte Testament erzählt davon, wie Gott auf dem Berg Sinai Mose Seinen Willen für die menschliche Lebensführung kundgibt, und zwar in der Thora (meist übersetzt als “Gesetz”, wenngleich der Begriff „Lehre“ zutreffender wäre). Die sogenannten Zehn Gebote sind das Herzstück der Thora.
Die Thora zeigt den Weg zu einem gesegneten Leben auf: „Und nun höre, Israel, die Gebote und Rechte, die ich euch lehre, damit ihr sie tun sollt, auf dass ihr lebt“ (5. Mose 4,1). Wenn der Psalmist singt: „Lehre mich nach deinem Willen handeln, denn du bist mein Gott“ ( Psalm 143,10), so antwortet er damit auf die Thora und bittet um ein besseres Verständnis derselben. Denn er will Gottes Weisungen treuer befolgen.
Eine grosse Zahl der Gebote aus dem Alten Testament werden im Neuen Testament wiederholt. So schreibt Petrus: „… Solange ihr noch auf der Erde lebt, lasst euch nicht von menschlichen Leidenschaften, sondern von Gottes Willen leiten“ ( 1. Petrus 4,2). Er meint damit, dass von den Christen ein geheiligtes Leben in der aktiven Befolgung von Gottes Ordnungen erwartet wird.
Neben Gottes offenbartem Willen, der sich auf die menschliche Lebensführung bezieht, gibt es auch einen verborgenen Willen Gottes, der sich auf unseren Lebensweg bezieht. Hat der erstere Wille sich in den Geboten geäussert, so besteht der zweite in Gottes Ratschlüssen über unser Leben. Paulus sagt: “Was Gott einmal beschlossen hat, das führt er auch aus.“ (Epheser 1,11). Wenn sich Paulus als “Apostel durch den Willen Gottes” (Kolosser 1,1) bezeichnet, so meint er damit, dass der Aposteldienst dem Willen Gottes für sein Leben entspringe.
Während von uns erwartet wird, dass wir den offenbarten Willen Gottes kennen, so wird uns nicht zugemutet, über den verborgenen Willen Gottes Bescheid zu wissen – aus dem einfachen Grund, dass wir diesen gar nicht kennen können. Wir mögen zwar irgendwie verstehen, was Gottes Plan für unser Leben ist, wenn wir innehalten und zurückblicken oder wenn wir im Alter ein gewisses Lebensmuster entdecken. Manche inneren Kämpfe jedoch, die nicht wenige Christen in diesem Bereich ausfechten, beruhen auf dem Irrtum, dass man eine Aufforderung von Paulus wie “erkennt, was der Wille des Herrn ist“ (Epheser 5,17) auf den verborgenen Willen Gottes bezieht. Das wäre dann, als müssten Christen immer wissen, was Gott in ihrem Leben will und als müssten sie all ihre Entscheidungen auf eine unverbrüchliche Kenntnis dieses Willens zurückführen. Doch nirgends in der Schrift lesen wir davon, dass dies von uns erwartet wird.
Hingegen lesen wir davon, dass Gott uns durch das Leben hindurch führen will, und dass Seine Führung sogar so deutlich werden kann, dass wir klare Hinweise für den nächsten Schritt bekommen. Das eindeutigste Beispiel dafür finden wir in Gottes Anweisung an Paulus, nach Mazedonien zu gehen (Apostelgeschichte 16,9). Doch auch diese Begebenheit erfolgt in einer Situation, wo sich Paulus und seine Gefährten zutiefst unsicher fühlen, wie die vorausgehenden Verse zeigen.
Wir sollten uns eingestehen, dass uns das Gebet um Erkenntnis des göttlichen Willens zwar in ein frommes Licht setzt, dass er aber in seinem Kern heidnisch sein kann. Die alten Griechen, die ihr Schicksal im Voraus kennen wollten, machten sich auf nach Delphi, um das Orakel zu befragen (wie wir in Aischylos’ Oresteia lesen können). Wir sollten uns dessen bewusst sein, dass diese Vorstellung fundamental dem widerspricht, was die Schrift unter Glauben versteht. Martin Luther (1483-1546) hat wie kaum ein Anderer zu seinen Lebzeiten erkannt: Glauben heisst nicht einfach, an die Existenz Gottes zu glauben, sondern sein ganzes Vertrauen für Leben und Ewigkeit auf Ihn zu setzen. Und Abraham wurde deswegen der Vater aller Glaubenden genannt (s. Römer 4,11 – aber man lese das ganze Kapitel!), weil er Gott vertraute und auszog, „ohne zu wissen, wohin er gehen würde.“ (Hebräer 11,8).
Christen zeichnen sich also nicht dadurch aus, dass sie genau wissen, was sie erwartet, sondern dass sie dies eben nicht präzise wissen und dass sie gerade darum ihr Vertrauen bewusst auf Gott setzen.
Wenn es nun um unser tägliches Leben als Künstler geht, so lasst uns deutlich sagen: Es ist gut, Gottes Gebote zu halten! Sie bewirken viel Gutes in unserem Leben und bewahren uns vor zahlreichen Fehlern und Problemen.
Aber wenn wir Gott gehorsam sind, heisst dies noch nicht, dass wir dann automatisch Alles bekommen, was wir uns wünschen oder dass dann unsere Karriere problemlos verläuft. Nein, wir werden immer noch mit verschiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen haben und zuweilen vom Gefühl überwältigt werden, völlig im Dunkeln zu tappen. Aber solche dunklen Stunden sollten wir dann eben nicht als Gottes Gericht über unserem Leben missdeuten, sondern diese vielmehr zum Anlass nehmen, uns mit ganzem Herzen Gott anzuvertrauen. Dies heisst eben glauben.
Dr. Marcel S. Zwitser / Übersetzung: Beat Rink