KIRCHE KREATIV
KULTURKIRCHE PAULUS Basel Basel
Für manche Christen ist es eine offene Frage: Kann man eine charakterlose oder gar böse Person auf der Bühne darstellen? Und wenn ja: Wie realistisch soll man diese Person spielen? Ich erinnere mich sogar an eine Musikerin, die allen Ernstes beschlossen hat, nie mehr ein Stück des „zu wenig christlichen“ Mozart aufzuführen. Der Grund dafür sind völlig falsche theologische Weichenstellungen. Umso wichtiger sind sorgfältige Überlegungen und Erfahrungsberichte, die korrigierend wirken – wie zum Beispiel der folgende Bericht der Sängerin Constance Fee*:
„In einer Lebenskrise fand ich zum Glauben, den ich über viele Jahre lang vehement abgelehnt hatte. Eine der ersten Rollen, die ich nach meiner Hinwendung zum Glauben singen sollte, war jene der Mercedes in „Carmen“.
Irgendwie hatte ich den Eindruck, ich solle auch die Figur der Carmen einstudieren. Dies war seltsam, denn erstens ist die Hauptfigur nicht über allen moralischen Zweifel erhaben. Zweitens gab es zwei andere Sängerinnen, die für die Rolle vorgesehen waren. Drittens hatte die Intendanz des Opernhauses gerade gewechselt und ich stand auf der Kündigungsliste. Wie üblich, wollte der neue Intendant seine eigenen Leute mitbringen. Nach meinem Engagement als Mercedes musste ich mich ohnehin nach einem anderen Opernhaus umsehen, und es war kaum wahrscheinlich, dass ich mir in der verbleibenden Zeit noch eine so grosse Rolle anvertraut würde.
Trotzdem empfand ich, dass ich mich in die Rolle der Carmen vertiefen sollte. Also beobachtete in den kommenden Proben sehr aufmerksam die Sängerinnen, die als Carmen auf der Bühne standen. Was mich schockierte, war, dass ich die Anweisungen und Korrekturen des Regisseurs regelmässig antizipieren konnte. Stand die Carmen zu lange an einem Tisch, dachte ich hinter dem Vorhang: „Jetzt muss sie aber schleunigst weggehen!“ – Und ein paar Sekunden später gab der Regisseur genau dieselbe Anweisung. Dies geschah viele Male und bestärkte mich darin, der Rolle der Carmen gewachsen zu sein.
Was dann geschah, war eigenartig: Beide Sängerinnen waren kurz nacheinander aus unterschiedlichen Gründen verhindert. Und prompt fragte mich der Regisseur fragte mich, ob ich die Carmen singen könne. Aber da die Kündigung bereits beschlossen war, sprach sich der Intendant vehement dagegen aus. Trotzdem liess mich der Regisseur vorsingen – und setzte sich schliesslich gegen den Intendanten durch. So stand ich als Carmen auf der Bühne. Dennoch war mir bei der Sache nicht ganz wohl. Wie gesagt, ist die Hauptfigur bekanntlich recht zweifelhaft. Dies verunsicherte mich als junge Christin. Ich fragte im Gebet, was Gott damit wolle und empfand, dass er sagte: „Du musst die Figur möglichst realistisch darzustellen. Das Stück zeigt auf, was mit einem Menschen geschehen kann, der ohne Gott lebt.“ So engagierte ich mich mit voller Energie für eine möglichst gute Aufführung dieser wundervollen Oper!“
* Constance Fee ist Dozentin des “Crescendo Sommerinstituts” und lehrt am Roberts Wesleyan College, NY (LINK zu ihrer Biografie). Sie hat bereits im TUNE IN Nr.86 von einer lebensverändernden Erfahrung mit Gott erzählt (LINK).
Text: Beat Rink