PrixPlus 2024
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Die Erzählweise dieser Aufführung hebt auch die zentralen theologischen Themen und Fragen der Oper ans Licht. Packend ist zunächst die Darstellung des unseligen “Goldenen Kalbs” und der darum herum stattfindenden wilden Party. Anstelle des goldenen Standbilds sieht man burleske Tänzer, die in goldenen Pailettenkostümen und mit goldener Körperfarbe wild durch die Volksmenge der Israeliten tanzen. Bald darauf gesellen sich grosse, groteske Figuren im Business-Look dazu, die selbstbewusst über die Bühne stelzen.
Das Goldene Kalb wird so – mit der Darstellung von ungezügelter und perverser Sexualität und offenkundiger Lust an der Macht – in unsere Zeit hineingenommen. Diese beiden Faktoren (ungehemmte Macht und Sexualität), die zu furchtbaren Gewaltausbrüchen führen können, gab es überall und zu allen Zeiten – auch im alten Israel. Die Aufführung stellt jedoch den Bezug zu unserer heutigen Gesellschaft her, die von beiden Faktoren stark geprägt ist. Die Israeliten (der Chor) gaben ihre goldenen Schätze her, um daraus das goldene Kalb zu giessen (Exodus 32,2-3).
Was geben wir eigentlich her, was opfern wir an wertvollen Dingen, um goldene Kälber anzubeten und zu pflegen – goldene Kälber in unserem eigenen Leben oder in der Kultur um uns herum? Stecken wir zum Beispiel übermässig viel Geld und etwas hinein, was unserer Imagepflege dient? Oder werfen wir jene geheiligte Intimität, die wir in einer biblisch begründeten Sexualethik finden, leichtfertig weg, um mit heutigen Sitten Schritt zu halten?
Geben wir uns mit oberflächlichen Beziehungen zufrieden, vielleicht aus Angst vor Verletzungen oder weil wir uns nicht in Menschen “investieren” wollen, die aller Voraussicht nach unserer Karriere kaum nützlich sein werden?
Und wenn wir vielleicht auch keines dieser Dinge tun – träumen wir vielleicht trotzdem davon? Hand aufs Herz: Opfern wir letztlich nicht alle recht viel, um individuelle oder kulturelle “goldene Kälber” aufzurichten, zu pflegen und zu verehren?
[Moses und Aron – Komische Oper Berlin 2015 – Video: Holger Jacobs für kultur24.berlinTV.]
Ein anderes, theologisch aufgeladener Aspekt der Inszenierung in der Komischen Oper war die Darstellung von Aaron als Magier. In der Bibel fällt Aaron der Auftrag zu, die Plagen über Ägypten zu bringen. Sein Stab wurde zur Schlange und er war es, der Wasser zu Blut verwandlete.
Mose hingegen war es, zu dem Gott sprach, der in enger Beziehung zu Gott stand. Aaron hingegen wankte, sobald es schwierig wurde. Wunder sehen genügte nicht. Sogar das Hervorbringen von Wundern genügte nicht.
Ohne Beziehung zu Gott, ohne seine Leitung und Fürsorge hätte es sich bloss um billige Zaubertricks gehandelt. Nur eine enge Gottesbeziehung stellt den Menschen auf ein geistliches Fundament und bewahrt ihn davor, sich von einem launischen Schicksal hin und herwerfen zu lassen.
Damit geht die Erkenntnis einher, dass Gott denen, die er liebt und sogar jene, die er mächtig gebrauchen will, nicht unbedingt Macht, Erfolg oder Popularität verleiht.
Und schliesslich war Moses ein komplexer Charakter, mit dem man hätte Mitleid haben können. Er stotterte mühsam vor sich hin (Schönbergs Gebrauch der Sprechstimme, angemessen interpretiert vom Bariton Robert Hayward – siehe das folgende Video –, war hier sehr angebracht) – und ebenso rang er mit den Aufträgen, die er von Gott bekam.
[Robert Hayward über seine Rolle als Moses, Sprachprobleme und biblischen Tinnitus.]
Er hatte eigentlich gar kein Interesse daran, den Israeliten Gottes Botschaften zu überbringen, und ebenso wenig wollte er sie von einem Haufen Gebote überzeugen! Vielleicht befinden wir uns manchmal in einer ähnlichen Situation.
[Der russische Stardirigent Vladimir Jurowski, Komische Oper Berlin Chefdramaturg Ulrich Lenz und unser Moses Robert Hayward im Interview zur Musik Schönbergs.]
Uns Künstlern, denen der Glaube wichtig ist, ist aufgetragen, Wahrheit und Schönheit in die Welt um uns herum hineinzutragen. Das ist jedoch keineswegs einfach. Vielleicht sind wir dazu berufen, Musik oder Texte zu schreiben oder etwas zu malen, was auf die Zerbrochenheit unserer Gesellschaft hinweist.
Vielleicht sind wir dazu berufen, die Stimme gegen Besitzgier, Ausbeutung und Gewaltanwendung zu erheben. Dies kann eine politische Dimension haben oder auch einem Widerstand gegen künstlerische und finanzielle Ausbeutung Ausdruck geben, die wir selber erfahren haben oder vor der wir andere Künstler bewahren wollen (vor etwas, was manchmal leider sogar in christlichen Kreisen vorkommt).
Oder wir beharren als Künstler auf finanziell sauberen Verträgen. Oder wir gehen, so unpopulär und altmodisch dies sein mag, mit unserer Sexualität so um, wie es uns die biblische Botschaft nahelegt. Es kann auch sein, dass wir um ein Leben in geordneten Bahnen ringen müssen (1. Thessalonicher 4, 1-12), wozu die Abstinenz von Machtstreben und Ausschweifungen gehört.
Aus der Geschichte von Moses und Aaron (und auch von der Oper!) können wir viel lernen. Solltest du in Berlin wohnen oder die Chance haben, Schönbergs Werk zu sehen: Es lohnt sich!
Fragen:
TUNE IN 123 vom 9. Mai 2015 | Unser Text ist von Lauren Franklin-Steinmetz (Cellistin, Berlin) | Übersetzung von Beat Rink, Präsident von ARTS+ | Weitere TUNE INs findest Du hier