Die im letzten TUNE IN entfalteten Gedanken werfen Fragen auf:
Wie erfahren wir Gottes Führungen und wie ordnen wir eigentlich prophetisches Reden ein, wo doch der Wille Gottes für unser Leben grundsätzlich verborgen ist?
Dazu folgende Gedankenanstösse:

1. Das Neue Testament macht die wichtige Unterscheidung zwischen einem Knecht und einem Kind (Römer 8,15; Galater 4). Der Knecht ist Befehlsempfänger und hat keinen eigenen Willen. Ein Kind wird so erzogen, dass es den eigenen Willen entwickeln soll und „mündig“ wird. Gott determiniert uns nicht wie Roboter. Gerade ein Künstler erfährt sich hoffentlich nicht als eine willenlose Marionette irgendeiner Macht. Das „automatic writing“ (das Schreiben unter dem Diktat eines Geistes) bringt keine guten Texte hervor, und es ist eine zutiefst heidnische Praxis.
Gott will uns in eine Freiheit, auch in eine kreative Freiheit hineinführen. Interessant ist die Szene, in der Gott Adam den Auftrag gibt, die Tiere zu benennen. Gott lässt dem Menschen kreativen Freiraum, denn es heisst: Gott schaute, wie Adam die Tiere nennen würde. (1.Mose 2.19f.) Gott ist neugierig auf den kreativen Akt Adams. Auch ein Vater ist neugierig darauf, was seine Kinder tun. Er keinen festen „Plan“ für seine Kinder, von dem abzuweichen ein Verstoss gegen seine Gebote wäre. Es ist deshalb sogar irreführend, durchgehend von einem „Willen Gottes“ zu sprechen. Insofern müssen wir sogar das Gebet „Dein Wille geschehen“ mit dem richtigen Verständnis beten. Etwas salopp gesagt: Wenn Adam vor den namenlosen Tieren zu Gott gesagt hätte: „Dein Wille geschehe“, hätte Gott wohl entgegnet: „Nein, dein Wille geschehe!“ Einige Verse weiter wendet sich derselbe Adam aber gegen Gottes offenbarten Willen – mit dramatischsten Folgen!

2. Aber so wie ein Vater oder eine Mutter jederzeit ein offenes Ohr hat für die Kinder und ihnen gerne hilft, dürfen wir Gott jederzeit bitten und ihn um Rat fragen. Jeder Christ kann davon berichten, wie Gott einen Rat gibt: durch das Gespräch mit anderen Menschen, durch ein Ereignis, durch ein Bibelwort, selbst vielleicht durch einen Traum oder durch einen Gebets-Eindruck – und sicher auch durch andere Bücher oder durch ein Kunstwerk. Oder durch die innere Gewissheit, dass etwas für diese bestimmte Situation „richtig“ ist und etwas eher „falsch“. Noch einmal: „richtig“ oder „falsch“ sind in diesem Bereich nicht dasselbe wie „von Gott erlaubt“ oder „von Gott verboten“. Jesus sucht den Rat Gottes sehr intensiv. Aber selbst er wird von Gott nicht zu seinem Tun gezwungen – nicht einmal dazu, sein Leben am Kreuz zur Vergebung der Sünden zu geben. Vielmehr betet Jesus in dieser höchst dramatischen Stunde, die das Geschick der Welt wendet, aus freiem Willen: „Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe.“ (Lukas 22,42)

3. Das Reden des Rat gebenden Vaters kann man der Prophetie zuordnen. Es gibt auch andere Arten der Prophetie: zum Beispiel zum Umkehr rufende Drohworte – siehe die Propheten im Alten Testament – oder in die Gegenwart und Zukunft hell hineinleuchtende, glaubensstärkende und tröstende Worte – siehe die Offenbarung. Wie ordnen wir nun aber solches prophetisches Reden ein, eben Gottes Antwort, wo wir ihn um einen Rat bitten? Sollen wir es suchen – vielleicht gerade als Künstler, die ja oft „Propheten“ genannt werden? Wir können diesem Themenkomplex auch die Frage zuordnen, ob es „künstlerische Inspiration“ durch Gottes Geist gibt. Wir werden uns im nächsten TUNE IN näher damit beschäftigen, weil es dazu mehr Raum braucht.

Fragen wir aber hier – auch nochmals im Blick auf TUNE IN 203:

– Wo bin ich in der Gefahr, den „verborgenen Willen“ Gottes mit dem „offenbarten Willen“ Gottes zu verwechseln? Wo habe ich Ängste, Gott zu betrüben, weil ich etwas „Falsches“ tue, obwohl er mir doch Freiheit liesse?

– Fühle ich mich als Künstler zur Freiheit der Kinder Gottes berufen – wie Adam in 1.Mose 2,19f. ?

Text: Beat Rink

Viele Christen stolpern über die Frage: “Was ist eigentlich Gottes Wille?” Sie versuchen, den Willen Gottes exakt zu erforschen und fürchten, Seine Führung irgendwie zu verpassen. Manche denken sogar, ihr Leben werde in einem völligen Desaster enden, sollten sie nicht richtig auf Gott hören.
Auch gläubige Künstler sind gegen solche beunruhigenden Gedanken nicht immun. Diese stellen sich besonders dann ein, wenn sich der künstlerische Werdegang und die Karriere langsamer als bei den Kollegen entwickeln. Dann sind sie besonders anfällig für den Gedanken, sie hätten auf die eine oder andere Weise Gottes Unmut auf sich gezogen.
Aus meiner Beobachtung – und aus meinen Erinnerungen an die Erfahrungen, die ich in meiner Jugend machte – komme ich zum Schluss, dass viele dieser irritierenden Gedanken in einer falschen Bibelinterpreation wurzeln, genauer in der Verwechslung zwischen offenbartem und verborgenem Willen Gottes. Es lohnt sich, näher darauf einzugehen, um diese beiden Seiten des Willen Gottes unterscheiden zu können.

Das Alte Testament erzählt davon, wie Gott auf dem Berg Sinai Mose Seinen Willen für die menschliche Lebensführung kundgibt, und zwar in der Thora (meist übersetzt als “Gesetz”, wenngleich der Begriff „Lehre“ zutreffender wäre). Die sogenannten Zehn Gebote sind das Herzstück der Thora.
Die Thora zeigt den Weg zu einem gesegneten Leben auf: „Und nun höre, Israel, die Gebote und Rechte, die ich euch lehre, damit ihr sie tun sollt, auf dass ihr lebt“ (5. Mose 4,1). Wenn der Psalmist singt: „Lehre mich nach deinem Willen handeln, denn du bist mein Gott“ ( Psalm 143,10), so antwortet er damit auf die Thora und bittet um ein besseres Verständnis derselben. Denn er will Gottes Weisungen treuer befolgen.
Eine grosse Zahl der Gebote aus dem Alten Testament werden im Neuen Testament wiederholt. So schreibt Petrus: „… Solange ihr noch auf der Erde lebt, lasst euch nicht von menschlichen Leidenschaften, sondern von Gottes Willen leiten“ ( 1. Petrus 4,2). Er meint damit, dass von den Christen ein geheiligtes Leben in der aktiven Befolgung von Gottes Ordnungen erwartet wird.

Neben Gottes offenbartem Willen, der sich auf die menschliche Lebensführung bezieht, gibt es auch einen verborgenen Willen Gottes, der sich auf unseren Lebensweg bezieht. Hat der erstere Wille sich in den Geboten geäussert, so besteht der zweite in Gottes Ratschlüssen über unser Leben. Paulus sagt: “Was Gott einmal beschlossen hat, das führt er auch aus.“ (Epheser 1,11). Wenn sich Paulus als “Apostel durch den Willen Gottes” (Kolosser 1,1) bezeichnet, so meint er damit, dass der Aposteldienst dem Willen Gottes für sein Leben entspringe.

Während von uns erwartet wird, dass wir den offenbarten Willen Gottes kennen, so wird uns nicht zugemutet, über den verborgenen Willen Gottes Bescheid zu wissen – aus dem einfachen Grund, dass wir diesen gar nicht kennen können. Wir mögen zwar irgendwie verstehen, was Gottes Plan für unser Leben ist, wenn wir innehalten und zurückblicken oder wenn wir im Alter ein gewisses Lebensmuster entdecken. Manche inneren Kämpfe jedoch, die nicht wenige Christen in diesem Bereich ausfechten, beruhen auf dem Irrtum, dass man eine Aufforderung von Paulus wie “erkennt, was der Wille des Herrn ist“ (Epheser 5,17) auf den verborgenen Willen Gottes bezieht. Das wäre dann, als müssten Christen immer wissen, was Gott in ihrem Leben will und als müssten sie all ihre Entscheidungen auf eine unverbrüchliche Kenntnis dieses Willens zurückführen. Doch nirgends in der Schrift lesen wir davon, dass dies von uns erwartet wird.

Hingegen lesen wir davon, dass Gott uns durch das Leben hindurch führen will, und dass Seine Führung sogar so deutlich werden kann, dass wir klare Hinweise für den nächsten Schritt bekommen. Das eindeutigste Beispiel dafür finden wir in Gottes Anweisung an Paulus, nach Mazedonien zu gehen (Apostelgeschichte 16,9). Doch auch diese Begebenheit erfolgt in einer Situation, wo sich Paulus und seine Gefährten zutiefst unsicher fühlen, wie die vorausgehenden Verse zeigen.

Wir sollten uns eingestehen, dass uns das Gebet um Erkenntnis des göttlichen Willens zwar in ein frommes Licht setzt, dass er aber in seinem Kern heidnisch sein kann. Die alten Griechen, die ihr Schicksal im Voraus kennen wollten, machten sich auf nach Delphi, um das Orakel zu befragen (wie wir in Aischylos’ Oresteia lesen können). Wir sollten uns dessen bewusst sein, dass diese Vorstellung fundamental dem widerspricht, was die Schrift unter Glauben versteht. Martin Luther (1483-1546) hat wie kaum ein Anderer zu seinen Lebzeiten erkannt: Glauben heisst nicht einfach, an die Existenz Gottes zu glauben, sondern sein ganzes Vertrauen für Leben und Ewigkeit auf Ihn zu setzen. Und Abraham wurde deswegen der Vater aller Glaubenden genannt (s. Römer 4,11 – aber man lese das ganze Kapitel!), weil er Gott vertraute und auszog, „ohne zu wissen, wohin er gehen würde.“ (Hebräer 11,8).
Christen zeichnen sich also nicht dadurch aus, dass sie genau wissen, was sie erwartet, sondern dass sie dies eben nicht präzise wissen und dass sie gerade darum ihr Vertrauen bewusst auf Gott setzen.

Wenn es nun um unser tägliches Leben als Künstler geht, so lasst uns deutlich sagen: Es ist gut, Gottes Gebote zu halten! Sie bewirken viel Gutes in unserem Leben und bewahren uns vor zahlreichen Fehlern und Problemen.
Aber wenn wir Gott gehorsam sind, heisst dies noch nicht, dass wir dann automatisch Alles bekommen, was wir uns wünschen oder dass dann unsere Karriere problemlos verläuft. Nein, wir werden immer noch mit verschiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen haben und zuweilen vom Gefühl überwältigt werden, völlig im Dunkeln zu tappen. Aber solche dunklen Stunden sollten wir dann eben nicht als Gottes Gericht über unserem Leben missdeuten, sondern diese vielmehr zum Anlass nehmen, uns mit ganzem Herzen Gott anzuvertrauen. Dies heisst eben glauben.

Dr. Marcel S. Zwitser / Übersetzung: Beat Rink

Am 24. bis 27. Mai 2017 findet in Hannover ein SongWriterCamp (SWC) statt.

Lothar Kosse wird unter Mitwirkung von Daniel Schunn die Zeit leiten und begleiten. Noel & Tricia Richards und Norm Strauss sind ebenfalls als Referenten angefragt. Brian Doerksen beschließt das SWC mit einem Impulsreferat und einem Konzertabend mit den SHIYR Poets.

Neue Lieder braucht das Land!
Wir erleben aktuell ein innovativ kreatives Zeitfenster. Neue Lieder entstehen. Moderne und alte Lieder treten in Dialog. Verschüttete Brunnen scheinen frisches Quellwasser hervorkommen zu lassen. Wunderbar. Das SWC soll ein sinnvoller Baustein in dieser Entwicklung sein. In Gemeinschaft und Austausch kann Inspiration passieren wodurch neue Melodien mit ansprechend eingängigen Texten hervorkommen. Das ist unser Wunsch und unsere Erwartung. Der deutschsprachige Raum hat ein facettenreich kraftvolles Erbe. Knüpfen wir gemeinsam freudig daran an.

Weitere Infos: www.songwriter-camp.com

Wie man weiss, beginnt die Bibel mit den Worten: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. Was als eine einfache Aussage daherkommt, kann sich für unser Verständnis von Kunst als sehr wichtig erweisen. Auf die komplexe Diskussion zum Thema Schöpfung und Evolution soll hier nicht eingegangen werden; dafür auf die Tatsache, dass die Bibel betont: Himmel und Erde haben denselben Ursprung und bilden somit einen Einheit. Daraus ergibt sich notwendig die Schlussfolgerung, dass die Erde dem Himmel nicht untergeordnet ist; denn beide haben ihren Ursprung in derselben göttlichen Weisheit – oder in der ewigen Torah (dem ewigen Gesetz), wie einige Traditionsquellen sagen würden.

Dies ist von Bedeutung, wo wir Kunst und ihren Stellenwert in der von Gott gesetzten Wirklichkeit verstehen wollen.
In meiner Kindheit wurde mir in unserer Kirche deutlich klargemacht, dass ein Musikstudium und der Musikerberuf für mich nicht in Frage kämen. Denn Musik sei nach Genesis 4,21 (“ Sein Bruder hiess Jubal; er war der Vater aller Zither- und Flötenspieler”) sündhaft: Jubal war schliesslich der Abkomme des Mörders Kain, und Musik taucht in der Schrift zum ersten Mal dort auf, wo von der gottlosen Kultur der Nachkommen Kains die Rede ist. Diese Kultur wird am Ende der Zeit von Gott verdammt werden (Offenbarung 18, 22 an Babylon gerichtet: „Und die Stimme der Sänger und Saitenspieler, Pfeifer und Posaunenbläser soll nicht mehr in dir gehört werden“). Man gab mir sogar zu verstehen, in der Musikwelt gebe es keine gläubigen Menschen.

Später begann ich zu begreifen, dass diese Ablehnung von Kunst die Folge eines Weltbildes ist, das den Himmel und die Welt einander entgegensetzt (unter dem Einfluss von Gnostizismus und Neo-Platonismus): Demnach ist der Himmel ein heiliger Ort, nachdem wir streben sollten, während die Welt ein unheiliger Ort ist, den wir fliehen müssen. Der theologische Fehler dahinter besteht in der Verwechslung von ‚unheiliger Welt’ und ‚erschaffenen Erde’. In der Bibel steht nämlich das Wort ‚Welt’ für das System, wo seit der Revolte des Menschen gegen Gott die Sünde regiert (an der wir laut eindringlicher Warnung keinen Anteil haben sollen!); die Erde jedoch ist der Ort, den Gott als Heimat für den Menschen bestimmt hat (Psalm 115,16: „…aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben“), und in der alles Geschaffene grundsätzlich gut ist (1. Timotheus 4,4: „Denn alle Kreatur Gottes ist gut, und nichts ist verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird“).

Allzu oft wurde in den Kirchen die musikalische (und generell die künstlerische) Weiterentwicklung behindert – eben aufgrund dieses geistlichen Irrtums, wonach Himmel und Erde, Geist und Körper Gegensätze bilden. Eines der besten Beispiele dafür – unter vielen – ist Calvins Verbannung der Musikinstrumente aus dem Gottesdienst. Calvin argumentierte, Gott habe den Juden den Gebrauch der Instrumente nur deshalb erlaubt, weil sie geistlich noch auf einer niedrigen Stufe stünden – im Unterschied zu den Christen.
Von der ziemlich grossen Arroganz dieser Begründung einmal abgesehen: ihr Hauptfehler besteht darin, dass sie den Menschen als Geschöpf überbewertet. Sie übersieht, dass Gott jedem Menschen ein Bedürfnis nach Schönheit und Harmonie gegeben hat. Und sie missachtet sie den Segen, den Gott zur Stillung dieses Bedürfnisses in die Schöpfung hineingelegt hat. Schliesslich zwingt sie den Menschen zu einem Leben, das ohne diese Segnungen auskommt (s. 1.Timotheus 4,1-3). Solche Gesetztlichkeit führt zu allerlei Problemen – zu emotionalen, psychosomatischen und wohl sogar geistlichen Problemen.

Doch Musik wurde nicht von den Nachkommen Kains erfunden. Vielleicht haben diese als erste erkannt: Musik wohnt dem Wesen der Schöpfung inne. Musik (und Kunst) haben ihre Wurzel auch nicht in Genesis 4, sondern in Genesis 1, wo Gott den Menschen nach seinem Bild erschafft, und dies heisst: als schöpferische Menschen, die Schätze erkunden, die die Schöpfung verbirgt. Kunst ist ein von Gott gegebener Schöpfungs-Segen. Deshalb ist künsterisches Wirken – als Antwort auf ein tiefes menschliches Bedürfnis, in sich bereits ein Akt der Anbetung. Und es ist zugleich ein Eingeständnis, dass wir ein gottgegebenes Bedürfnis nach Schönheit, Harmonie und Sinnerfüllung in uns tragen.

Fragen:

1. Haben Mit-Christen deine Kunst je mit geistlichen Argumenten in Frage gestellt? Wenn dies der Fall war: Haben sie in ihrem Denken einen Gegensatz zwischen Himmel und Erde hergestellt?

2. Zweifelst du manchmal daran, dass dein Wunsch nach künstlerischem Wirken, geistlich gesehen, gut ist? Wenn dies der Fall ist: Neigst du dazu, in deinem Denken einen Gegensatz zwischen Himmel und Erde zu konstruieren – vielleicht, weil es dir so beigebracht hat?

Dr. Marcel S. Zwitser / Übersetzung: Beat Rink

Zum Jahresbeginn 2017 soll uns ein eindrückliches Bild (oben) zum Nachdenken einladen. Geschaffen hat es ein Maler, dessen beide Lebensdaten interessanterweise ebenfalls die Zahl 7 tragen: Sébastien Stoskopff (1597-1657) aus Strassburg. Wer in Kunstsammlungen auf Werke von Stoskopff trifft, dem mag es ergehen wie dem polnischen Lyriker Zbigniew Herbert (1924-1998): „Vor Jahren […] traf ich beim Durchqueren des Saals […] auf das Bild eines unbekannten Malers. Sogleich begriff ich, obwohl es rational kaum zu erklären wäre, daß etwas Wichtiges, etwas Wesentliches geschehen war, etwas, das mehr bedeutet als eine zufällige Begegnung in der Menge der Meisterwerke. […]Das Bild schrieb sich mir – deutlich, eindringlich – für viele Jahre ins Gedächtnis, und dabei war es doch weder das Abbild eines Gesichts mit flammendem Blick noch eine dramatische Szene, vielmehr ein ruhiges, statisches Stilleben.“

Stoskopff war ein Meister des Stilllebens. Dieses Bild (von 1630) trägt den Titel „Vanitas“. Die Vergänglichkeit, die Hinfälligkeit war in den barocken Künsten bekanntlich ein zentrales Motiv. Hier sehen wir eine Art „Abstellkammer des Lebens“. Zentral thront darin der Totenschädel. Rundherum sind Gegenstände angeordnet, die zu einem schönen, erfolgreichen Leben gehören: Trinkgefässe (Reichtum), Laute und Noten (Musik), ein Blatt mit der Darstellung eines Menschen (Kunst), Dinge aus der naturwissenschaftlichen Forschung und aus dem Militär. Alles Dinge, auf die sich der Mensch etwas einbilden und an denen er stolz werden kann.
Aber da ist nun eben der Totenkopf. Und über ihm hängen ein „Fake“-Fenster und eine Sanduhr. Sie sagen dem Betrachter: Alles ist nur Illusion, nur „leerer Schein“ (eine andere Übersetzung für „Vanitas“) und alles ist zeitlich begrenzt.
Zwei Dinge im Vordergrund verdienen besondere Beachtung: Zuerst eine Wasserflasche. Sie gehört sicher nicht in eine Abstellkammer. Ich wage folgende Interpretation: Verschliessbare Wasserflaschen gehörten damals zu den Reiseutensilien. Die Aussage liegt auf der Hand: Wir sind auf dieser Erde nur auf der Durchreise. Links daneben hängt eine handgeschriebene Notiz, die das Bild aufschlüsselt:

„Kunst, Reichtum, Macht und Kühnheit stirbet
die Welt und all ihr Thun verdirbet
ein Ewiges kommt nach dieser Zeit
ihr Thoren, flieht die Eitelkeit.“

Auf solch kräftige Aussagen trifft man auch sonst in der barocken Lyrik. Andreas Gryphius (1616-1664) lässt eines seiner berühmten Gedichte ausklingen mit den Versen:
„Noch will, was ewig ist kein einig Mensch betrachten.“

Die Schrift (mit Kreide auf einer kleinen Tafel geschrieben?) ist kaum lesbar. Ihre Botschaft erscheint im Unterschied zu den gewichtigen Büchern schwach und bedroht. Fast scheint, als würde sie von der Macht des Wissens an den Rand gedrängt. Bücher haben bei Stoskopff nicht selten eine negative Bedeutung. Sie sind Ursache zu menschlichem Stolz. Meist sind sie geschlossen. Immerhin: Das Notenbuch ist offen, und offen zeigt sich auch das Blatt mit der Radierung: Hinweise für den Wert der Kunst?

Geöffnet sind die Bücher auch auf einem anderen Stilleben von Stoskopff, wo Lukas Cranachs berühmtes Luther-Porträt gezeigt wird. Dort ist die Heilige Schrift halb offen und zerlesen. Hier gibt es ebenfalls eine Sanduhr, doch es gibt noch reichlich Sand darin – Zeichen dafür, dass Gott unser Leben gnädig erhält. Und vor allem: Es gibt keinen Totenschädel, wo an das Evangelium geglaubt wird. In der Bildmitte sehen wir anstelle des Schädels das lebensspendende Gotteswort.

Wir alle kennen die Gefühle, die sich zum Jahreswechsel einstellen: “Schon wieder vorbei! Die Zeit vergeht so schnell! Was bleibt?”
Stoskopff lädt uns ein, sich auf das wirklich Wichtige zu besinnen und dieses ins Zentrum zu rücken. Die Botschaft des „Ewigen“ ist in der Welt zwar bedroht und am Rand. Vielleicht ist es sogar in unserem eigenen Leben bedroht und marginal. Rücken wir es deshalb vom Rand immer wieder ins Zentrum. Vielleicht sogar zusammen mit der Wasserflasche aus dem „Vanitas“-Bild, die eine zweite Bedeutung haben könnte: Das Wasser als biblisches Sinnbild für den Geist Gottes. Im Bild erscheint es zwar als völlig wertlos, aber der Maler hat es zusammen mit der Notiz ganz in den Vordergrund gerückt. Und es ist im Grunde das einzige auf dem Bild, was Leben spendet.

Euch ein reich gesegnetes 2017 !

Text: Beat Rink

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